Was gewesen wäre
lächelte freundlich und hielt mir sogar die Tür auf. Ein großer, hagerer Mann, der seine wenigen grauen Haare nach hinten gekämmt trug. Der Nacken war ausrasiert, und auf der rechten Wange hatte er eine kleine Warze, aus der schwarze Haare wuchsen. »Die kannste ja gleich mit abrasieren«, hatte Kerstin lachend gesagt.
Neubart zog sich den Bademantel aus und legte sich auf die Trage. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Ich zog mir umständlich ein paar Gummihandschuhe über. Größe sechseinhalb. Das Neonlicht beleuchtete den nackten Mann gnadenlos. »Brauchen Sie nicht einseifen oder so«, hatte Sue Ellen zu mir gesagt bei der Einführung. »Lassen Sie die Männer baden, und dann ist das weich genug. Die können sich da hinterher gern was draufschmieren, wenn die wollen. Und schneiden Sie ihnen nichts ab!«, hatte sie gesagt. Diese Art von Witzen wurde hier ununterbrochen gemacht.
Neubart roch frisch gebadet. Aber auch irgendwie säuerlich. Ich schraubte eine neue Klinge in den Rasierer und begann oberhalb des Schambeins. Man hörte nur das Kratzen der Klinge, und ab und zu schob ich ein paar abgeschnittene Haare von seinem Bauch. Mit zwei Fingern versuchte ich die Haut des Hodensacks glatt zu ziehen, was fast unmöglich war. Scrotum heißt das Teil auf Latein, und so sah es auch aus. Mühsam fuhr ich mit dem Rasierer in die Falten und griff dann Neubarts Schwanz, um ihn auf die andere Seite zu legen. Als ich ihn in die Hand nahm, wurde er sofort steif. Die Eichel drückte sich wie in Zeitlupe durch die Vorhaut, und das Ding stand etwas schief von Neubarts Körper ab. Er starrte immer noch an die Decke, und ich musste daran denken, wie ich einmal bei einer älteren Schwester zugesehen hatte, und bei ihrem Patienten war das auch passiert. Sie hatte »Na, dann beruhigen Sie sich mal« gesagt, und wir hatten beide den Raum verlassen. Der Patient hatte sich dann allein weiterrasiert. Ich richtete mich auf und sah an die Wand gegenüber, an der ein paar Halterungen mit leeren Enten hingen. Hinter mir tropfte der Wasserhahn in die leere Badewanne. Ein hohles, metallenes Geräusch. »Wollen Sie sich allein weiterrasieren?«, fragte ich, und das Wort »rasieren« hatte ich fast verschluckt. Neubart lag da mit seinem Ständer, guckte an die Decke und sagte: »Sie können gern noch etwas fester zudrücken, es soll Ihr Schaden nicht sein.« Dabei legte er mir die rechte Hand auf den Hintern und drückte mich fest an die Trage. Ich schmiss den Rasierer zu Boden, drehte mich aus seinem Griff und lief aus dem Bad. An den Händen immer noch die Gummihandschuhe.
Kerstin hatte dann Schwester Erna von der Nachbarstation hineingeschickt. Eine fast siebzigjährige Frau mit einer dicken Hornbrille, die immer rosa Söckchen in ihren Gesundheitssandalen trug und von der man sagte, dass sie irgendwann auf der Urologie sterben würde. »Na, dem werde ich«, hatte die gesagt und war losgestürmt, und Kerstin sagte zu mir: »Die rasiert noch mit dem Messer!« Dabei schärfte sie eine unsichtbare Klinge in der Luft und lachte: »Da wird den Jungs ganz anders. Aber ganz anders.«
Neubart hatte sich den Rest des Tages nicht mehr auf dem Flur sehen lassen, trat nun aber zum Abendbrot aus Zimmer 9 an den Wagen, als wäre nichts gewesen. Er trug einen grauen Schlafanzug unter seinem Bademantel und sah mich nicht an, ließ sich von Kerstin einen Teller geben, Brot und Wurst. »Das ist die Henkersmalzeit«, sagte Kerstin. »Morgen früh vor der OP gibt es nichts mehr.« Er nickte, und Kerstin sah ihn direkt an. Durch seine dünnen Haare glänzte die Kopfhaut. »Ich habe gehört, im Bad gab es vorhin einen unschönen Zwischenfall.« Neubart wurde tatsächlich rot, nur leider wurde ich das auch, während ich seinen Zimmergenossen die Tassen mit Tee und Kaffee füllte. »Ach, Schwester. Das war doch nun wirklich nur die Natur. Sie wissen ja, wie das als Mann so ist!« Kerstin schob ihn zurück in sein Zimmer, schloss die Tür mit einem Schwung und sagte dabei. »Nee, das weiß ich nun wirklich nicht, wie das als Mann so ist. Ich glaub, das möchte ich manchmal auch gar nicht wissen.«
Nach der Spätschicht fuhren wir mit dem Bus in die Innenstadt. Das Krankenhaus war die Endstation, und der Bus stand meistens schon da, und man konnte in ihm warten so lange, bis er abfuhr. Der Fahrer hockte in dem kleinen Häuschen an der Haltestelle und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die Luft war mild und der Sommer
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