Was gewesen wäre
schönste Party, vielleicht gerade weil dann die Woche wieder begann und obwohl man nicht mehr ausschlafen konnte am nächsten Morgen.
Julius schob mich durch eine Lücke der knatternden Mopeds, und wir gingen auf den kleinen künstlich aufgeschütteten Strand zu. Vorbei an einem knutschenden Pärchen. »Haben die kein Zuhause?«, fragte Julius und grinste mich an. Ich drehte mich um und deutete auf das große alte Hotel mit seiner bröckelnden Fassade. »Du hast deine Freundin stehenlassen. Mitten auf der Tanzfläche. Sie wird sauer sein.« – »Ach die«, sagte Julius, setzte sich in den Sand und zog mich zu sich runter. »Hat er das auch über mich gesagt ›Ach die‹?«, dachte ich und versuchte unter meine Achsel zu riechen. Mir kam eine Wolke aus Schweiß und Wofasept entgegen.
»Ach die« war aber auch das Letzte, was Julius sagte. Er saß da, seinen linken Arm um meinen Nacken geschlungen, sodass ich leicht vorgebeugt sitzen musste. Er fummelte mit seiner freien Hand eine Schachtel Alte Juwel aus der Tasche, klopfte am Knie eine Zigarette raus und zog sie mit dem Mund heraus. Mir bot er auch eine an. Seit zwei Wochen hatte ich keine Zigarette geraucht, aber jetzt brauchte ich etwas zum Festhalten. Julius nahm den Arm von meiner Schulter, riss ein Streichholz an und hielt mir das Feuer hin. Ich sah seine weichen, langen Musikerhände, vom flackernden Licht der kleinen Flamme beleuchtet.
»Und dein Studium?«, fragte ich in die Stille.
»Toll«, sagte er, ohne mich anzusehen. So als ob auf der dunklen Seeoberfläche ein Wahnsinnsspektakel ablief, das nur ich nicht sehen konnte. »Jeden Tag Musik. Mensch, nach diesem Stumpfsinn bei der Asche. Das ist wie das Paradies.«
Dann sagte er nichts mehr. Um uns sirrten die Mücken, der See roch ein wenig brackig und ich nach Wofasept. Meine Schulter schmerzte dort, wo Julius mich in so eine Art zärtlichen Schwitzkasten nahm. Seine andere Hand ruhte auf seinem Knie, und der Rauch stieg kräuselnd auf. Julius sah zufrieden aus, und ich musste reden. Hüpfte dabei wie über ein Minenfeld. Ich erwähnte nicht meinen Freund oder seine Popperlockenfreundin, die jetzt durch das Hotel irrte oder ausgelassen tanzte mit ihren filigranen Armen. Auch Julius’ Konzert im vergangenen September auf Rügen, ein paar Monate nach seiner Entlassung von der NVA, umschiffte ich wortreich. Er hatte auf einer kleinen Bühne in Putbus gestanden und fast zwei Stunden lang Gitarre gespielt. Ich hatte vor der Bühne gesessen, im Gras mit einer Handvoll Berliner, und war fast übergelaufen vor Stolz und Glück. In der Nacht im Zelt, nach ein paar Flaschen Wein und unendlich vielen Zigaretten hatte er zu mir gesagt: »Assi, so geht das nicht weiter. Ich kann nicht so mit dir weitermachen. Das ist unehrlich.« Wir lagen in unseren Schlafsäcken, und ich hatte meine Hand auf seiner Brust liegen. Ich spürte, wie er ruhig ein- und ausatmete. Durch die olivgrüne Haut des Zeltes konnte man den Mond sehen. »Es liegt nicht an dir. Es liegt an mir. Ich würde dich gerne lieben, aber ich kann nicht.« Ich hatte ihn angeschrien und am Ende sogar versucht, ihn zu schlagen, war aus dem Zelt gelaufen an den Strand und hatte dort heulend gesessen. Julius war mir nicht gefolgt.
Jetzt saß er am Ufer des Tollensesees und hörte mir offensichtlich amüsiert zu, wie ich ihm von meinen kleinen Erlebnissen auf der Urologie erzählte. Als ich von Herrn Neubart und seinem schräg abstehenden Schwanz erzählte und dabei immer mehr kicherte, nahm er seinen Arm von meiner schmerzenden Schulter und drehte mein Gesicht zu sich. »Ich kann ihn verstehen«, sagte er lachend und versuchte mich zu küssen, aber ich wich ihm aus, und er stieß mit seiner Nase gegen mein Ohr.
»Du fährst nach Budapest in den Ferien«, sagte er in diese merkwürdige Stille vor uns, während hinter uns die Mopeds röhrten und die Bässe der Anlage wummerten. »Habe ich gehört«, schob Julius nach, »von Jana, meine ich.«
»Ja, Anfang Juli für eine Woche.«
»Ich weiß, vom 4. Juli bis zum 11. Juli. Ich weiß Bescheid. Da bin ich auch dort. Mit meinem Bruder und meinem Vater. Wollen wir uns da nicht treffen? Das wäre doch witzig.«
Ich wollte sagen: »Ich bin mit meinem Freund da, Julius, wie stellst du dir das vor?« Aber das sagte ich nicht, und Julius entwarf mir seinen Plan, dass ich doch vorbeikommen und im Hotel Gellért nach ihm fragen sollte an der Rezeption. »Ich würde mich so freuen, dich da zu sehen.«
»Hast du das
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