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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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Na, was ist los? Ödet ihr euch plötzlich an, oder warum hast du schon am zweiten Tag Sehnsucht nach mir?«
    Astrid sieht ihre Freundin vor sich, wie sie sich im Erkerzimmer an den runden Tisch gesetzt hat und jetzt vermutlich mit einer Hand eine Zigarette aus der Schachtel fummelt. Die Wohnung ist riesig, mit Blick auf den Zionskirchplatz und einem Mietvertrag aus den frühen neunziger Jahren. Unfassbar billig. Vera hat hier damals mit drei Freundinnen zusammengewohnt, die nach und nach ausgezogen sind, und ihr Oliver zog ein, als Vera zum ersten Mal schwanger war.
    Sie hört das Ratschen eines Feuerzeuges und den ersten tiefen Zug, den Vera nimmt. Darüber hat sie sich bei Vera noch nie aufgeregt, noch nicht ein Mal in fünfzehn Jahren, aber die raucht auch nur drei Zigaretten am Tag und hat keine verengten Herzkranzgefäße.
    »Nein, es ist ganz schön hier. Ein bisschen ostig vielleicht, aber gerade waren wir im Mineralbad, das ist schon sehr …«
    Astrid sucht nach einem Wort, weil ihr »schön« zu belanglos erscheint.
    »Ach, ich möchte auch mal von meinem Mann in so einen Tempel mit feudalem Mineralbad eingeladen werden«, stöhnt Vera am anderen Ende. »Das letzte Mal hat er mich nach Madrid eingeladen, nur dass da zufälligerweise gerade Bayern München spielte und er zufälligerweise Karten dafür hatte. Für 100 Euro das Stück. Eine Sünde. Im Gellértbad warst du doch damals auch mit diesem Julius in der Nacht, als du deinen Exgatten einfach auf dem Zeltplatz gelassen hast. Du durchtriebenes Stück, oder?«
    »Ja, genau, und der ist jetzt hier. Im selben Hotel.«
    »Tobias?«
    »Nein, Julius!«
    Es ist jetzt still in Berlin. Astrid hört Vera inhalieren und den Rauch langsam ausstoßen und noch einen Zug nehmen. So lange ist sie sonst nie still, stellt Astrid zufrieden fest.
    »Ach du Scheiße«, sagt Vera leise.
    Sie haben sich in einem Yogakurs kennengelernt, und Vera war eines dieser schmalen feingliedrigen Mädchen, das die Anweisungen der Yogalehrerin mit einem Gleichmut und ohne jede Anstrengung umsetzte, die Astrid fast aggressiv gemacht hatte. Wie ein Brett ging sie zu Boden, hob ihren schönen Busen zur Kobra und bog sich dann in den herabschauenden Hund, als würde sie das schon ihr ganzes Leben lang machen. Während Astrid neben ihr in derselben Haltung stand mit schief in die Höhe gestrecktem Hintern und angewinkelten Beinen, die nach wenigen Sekunden zu zittern begannen. Astrids Wangen waren nach zehn Minuten rot gefärbt, das konnte sie fühlen, während Vera sich neben ihr schweißlos durch das Vinyasa schlängelte und am Ende aus ihrem schmalen Körper eine perfekte Brücke baute. Wie ein Triumphbogen stand sie da und atmete ein. Tief. Und tief wieder aus.
    »Und was hat Julius gesagt?«, fragt Vera und lacht jetzt. »Dass es den wirklich gibt! Oder hat er dir gleich eine runtergehauen?«
    »Er hat mich gar nicht gesehen. Glaube ich zumindest. Mensch, Vera, du hättest mich sehen müssen. Ich bin weggelaufen wie ein Hase. Ich habe den armen Paul die Treppe runtergezogen, der wusste gar nicht, wie ihm geschieht.«
    »Und was hat der gesagt?«
    »Wer?«
    »Na, Paul, was hat der zu der ganzen Geschichte gesagt?«
    »Ich habe ihm das gar nicht erzählt. Von dem ganzen Kram hab ich ihm noch nichts erzählt. Ich hatte so keine Böcke mehr drauf. Mein Gott, das war vor über zwanzig Jahren. Manchmal glaube ich das kaum noch. Was soll ich ihm das alles erzählen.«
    »Du willst nur Sex mit ihm, ich versteh schon. Du missbrauchst ihn. Habt ihr immer noch dauernd Sex?«
    »Anderthalb Mal bisher. So mittelmäßig, mit viel Platz nach oben, würde ich mal sagen.«
    »Immerhin. Bei meinem Oli frage ich mich manchmal, ob der inzwischen schwul geworden ist. Der guckt nicht mal mehr den jungen Kellnerinnen nach. Von mir ganz zu schweigen. Wobei er mich ganz gern von hinten sieht, aber nur, wenn ich aus der Wohnung gehe.«
    »Komm schon, du machst ihn immer schlechter, als er ist. Was soll ich denn nun machen? Das muss doch mal ein Ende haben mit Julius Herne. Das war, als hätte jemand gestern Abend mein Gehirn gelöscht. Die letzten fünfundzwanzig Jahre: einfach weg, und ich wieder siebzehn. Ich sehe ihn da sitzen im Gellért Hotelrestaurant, und es haut mich einfach aus den Socken. Das ist doch lächerlich.«
    »Du erzählst das Ganze erst mal deinem neuen Freund, würde ich sagen. Dem Mann mit den himmelblauen Augen. Er wird seine großen Hände dabei gefaltet haben, ganz ruhig, und dir

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