Was gewesen wäre
Blut gefüllt, und das Herzgewebe wird nicht versorgt. Das hätte auch ein Infarkt werden können. Ich setz Ihnen da jetzt einen Stent rein, der das wieder weitet, und dann melden Sie sich nächste Woche in meiner Praxis.«
Paul zieht leise die Hotelzimmertür hinter sich zu. Er sieht auf den Schlüssel mit dem großen Messingring dran, auf dem Hotel Gellért steht. Was wird Astrid denken, wenn sie plötzlich aufwacht, und er ist nicht da? »Dass ich in die Bar gegangen bin, weil ich nicht schlafen kann«, sagt Paul halblaut vor sich hin und geht Richtung Fahrstuhl.
Er ist eine Woche später in ihre Praxis gegangen. Da trug sie ein oranges T-Shirt und eine helle Jeans unter dem Kittel. Während sie ihm den Rücken abhorchte, fragte er sie, ob sie mit ihm essen gehen wolle. Das kam ihm vor wie vom Fünfmeterbrett zu springen. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber sie antwortete, ohne zu zögern: »Ich gehe nie mit Patienten aus.«
»Werden Sie denn öfter eingeladen?«
»Hin und wieder«, antwortete sie. »Atmen Sie mal tief ein. Luft anhalten und weiteratmen.« Sie erklärte ihm sehr ausführlich die Gefahren, die Rauchen, Fett und Alkohol für seine Herzkranzgefäße hätten. »Sie sollten Sport treiben. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Koronaren Kollateralen bilden, also neue Verbindungsgefäße, um eine Verstopfung zu umgehen, größer. Sie sind noch ein bisschen jung für einen Herzinfarkt. Aber auch ein Schlaganfall ist möglich. Wir haben nur diese eine Verengung gefunden, die an einer sehr ungünstigen Stelle lag, und dadurch war ein großes Stück des Herzgewebes betroffen. Wir wissen allerdings nicht, ob es noch mehr solche Verengungen gibt. Im Bein, im Kopf? Es ist unwahrscheinlich, dass dies die einzige Stenose war.« Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch, dessen Glasplatte erstaunlich aufgeräumt war, fast leer, schlug die Beine übereinander und sah ihn an. »Haben Sie mich verstanden, oder gibt es noch etwas zu erklären?«
Pauls Herz schlug jetzt so schnell, dass er sicher war, Astrid könnte das auf dem Monitor sehen, wenn er noch angeschlossen wäre. Oder hören durch das Stethoskop. Er war nach diesem Gespräch zur Sprechstundenhilfe am Empfang gegangen und hatte darum gebeten, bei einem der drei männlichen Kollegen von Astrid behandelt zu werden. »Ich fühl mich bei einem Mann wohler«, hatte er gesagt, und die junge Frau mit einem Nasenpiercing, die hinter dem Empfangstisch saß, hatte ihn kurz angesehen und »Ach ja?« gesagt, als ob er etwas Anzügliches gesagt hätte. »Da werde ich mit Frau Doktor reden müssen, aber das sollte kein Problem sein.« Paul schrieb Astrid darauf einen Brief an die Praxisadresse und lud sie noch einmal in ein Restaurant ein. Sie ignorierte ihn, rief ihn aber nach dem zweiten Brief zurück und ging mit ihm essen.
Langsam geht Paul durch das Foyer des Gellért Hotels. Die beiden Kronleuchter in der Mitte des Raumes sind ausgeschaltet. Nur die Kerzen nachempfundenen kleinen Leuchten an den Wänden geben dem ganzen Raum ein spärliches Licht. Die Bar ist ein kleiner, vom Foyer abgetrennter schmaler Raum. Sie hat nichts Anziehendes und wirkt eher wie ein Imbiss, nicht wie eine Bar. Ein paar Hocker vor dem Tresen, und an der Seite, die zur Straße zeigt, gibt es eine kleine Sitzecke. Dort sitzen zwei Männer stumm vor ihrem Bier. Paul begrüßt den Barkeeper, einen grauhaarigen Mann mit einer randlosen Brille, der mit einem Handtuch die Zapfhähne poliert. Der antwortet auf seinen englischen Gruß mit einem akzentfreien »Was darf ich Ihnen servieren?«.
»Ein Bier. Was haben Sie aus der Flasche? Beck’s, ja, Beck’s ist in Ordnung.«
Paul umfasst die kalte grüne Flasche und kann sich nicht entscheiden, sich auf einen der Hocker zu setzen. Einer der beiden Männer in der Ecke steht auf. Sein Schädel ist rasiert, und er trägt eine Pilotensonnenbrille auf dem haarlosen Kopf. Er klopft eine Schachtel Lucky Strike auf den Tresen. »Los, komm«, sagt er zu dem anderen, der sich umständlich eine Jacke überzieht. »Lucky Strike« hatte Paul geraucht, seit er siebzehn war. Alle in seiner Klasse in Westfalen rauchten damals Marlboro, und deshalb entschied er sich für die weiße Schachtel mit dem roten Kreis.
Als die Männer auf seiner Höhe sind, dreht er sich zu ihnen um und sagt: »Könnte ich wohl eine Zigarette haben, bitte?« Der mit der Glatze sagt: »Klar, musste aber mit rauskommen. Hier drinnen ist verboten. Wie bei uns.«
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