Was ich dir noch sagen will
warteten, wieder benutzt zu werden.
Lisa griff nach seinem Aftershave und schnupperte daran. Ihre stechende Sehnsucht konnte nicht größer sein und die Stille nicht quälender.
Anschließend wanderte sie ziellos in der halbdunklen Wohnung umher und ließ ihren Blick durch die stummen Räume schweifen. Nachdem sie in der Küche kurz etwas getrunken hatte, schlich sie wieder über den Flur und trat wie ferngesteuert an den Garderobenschrank.
Lord Helmchen!, dachte Lisa plötzlich.
Seit dem Unfall hatte sie sich nicht mehr getraut, in den Schrank zu sehen. Doch nun verspürte sie ein unbestimmtes Verlangen und öffnete vorsichtig die Tür. Und tatsächlich, da lag der Helm, dieses hässliche, orange-blaue Stück Kunst- und Schaumstoff, das noch aussah wie neu.
Lisa nahm den Helm vorsichtig zur Hand wie eine zerbrechliche, hauchdünne Glasfigur. Dann ging sie zurück ins Schlafzimmer, ohne den Blick von Lord Helmchen abzuwenden, legte ihn auf dem Bett ab und betrachtete ihn einen ganze Weile lang nachdenklich.
«Wenn Erik dich doch nur getragen hätte!», seufzte sie verzweifelt, und ihre vor Müdigkeit brennenden Augen füllten sich erneut mit Tränen.
Komm zurück! Komm zurück!
Erschöpft legte sich Lisa aufs Bett, kauerte sich zusammen wie ein kleines, schutzloses Kind und weinte so sehr, wie sie es niemals zuvor in ihrem Leben getan hatte. Sie schluchzte und jammerte, und kein noch so positiver Gedanke konnte sie beruhigen. Wut und Verzweiflung brachen sich Bahn. Lisa konnte und wollte nicht mehr stark sein, und sie schrie nun all ihren Schmerz in die fest umklammerte Bettdecke.
Was war das?, fragte sie sich, als sie erschrocken hochfuhr und angestrengt lauschte.
Draußen dämmerte es bereits. Sie musste also doch irgendwann erschöpft eingeschlafen sein.
Plötzlich war es wieder da, das schrille Geräusch, das sie offenbar geweckt hatte. Es war der Klingelton ihres Handys, das auf ihrem Nachttisch lag! Mit einem Satz gelangte sie auf die andere Seite und warf einen verschlafenen Blick auf das Display. Es war eine ihr unbekannte Nummer.
Das Krankenhaus!, dachte sie alarmiert und war schlagartig ganz klar im Kopf.
Lisa nahm das Gespräch an und meldete sich hastig mit ihrem Namen.
«Hier ist Schwester Ahrens, vom Universitätskrankenhaus Eppendorf», sagte eine ruhige, ihr unbekannte Stimme am anderen Ende der Leitung. «Guten Morgen.»
«Mein Mann? Was ist mit meinem Mann?», fragte Lisa panisch. Sie hatte Angst, die Worte könnten ihr im Hals stecken bleiben.
«Ich soll Ihnen von Prof. Weiländer ausrichten, dass Herr Dr.Grothe wieder bei Bewusstsein ist. Sie dürfen ihn besuchen, wenn Sie möchten.»
Lisa verstand nicht sofort. Erst allmählich drangen die Worte der Schwester zu ihr durch wie durch einen Nebel, der sich langsam lichtete.
«Ich … Ich komme sofort!», rief sie schließlich ins Telefon. «Danke. Vielen Dank!»
Dann drückte Lisa das Gespräch weg, ohne sich allerdings wirklich sicher zu sein, ob die Schwester nicht vielleicht noch irgendetwas hatte sagen wollen. Womöglich hatten die Ärzte festgestellt, dass Erik zwar aufgewacht, aber sein Zustand dennoch kritisch war. Oder aber es zeichnete sich ab, dass er nicht bei klarem Verstand sein würde.
Schnell schob Lisa die Gedanken weg. Das hätte die Schwester ihr ohnehin nicht am Telefon mitgeteilt. Da war sich Lisa sicher.
Hektisch sprang sie aus dem Bett, eilte zum Kleiderschrank und zog eine Jeans hervor. Als sie kurz darauf den obersten Pulli aus dem Regal nehmen wollte, kippte ihr der gesamte Stapel entgegen und landete auf dem Boden. Nervös fischte sie den cremefarbenen Pulli heraus, den sie selbst gestrickt hatte und den Erik so an ihr mochte.
In Rekordzeit machte sie sich im Bad einigermaßen zurecht und eilte in den Flur. Noch während sie sich ihre Stiefel anzog, rief sie Renate an, um ihr die Neuigkeit zu überbringen.
«Renate, stell dir vor», rief sie etwas zu laut und ohne jede Begrüßung ins Telefon, «das Krankenhaus hat angerufen. Er ist aufgewacht! Erik ist endlich aufgewacht!»
Ihre Schwiegermutter weinte erleichtert und erklärte, dass man sie vor wenigen Minuten bereits benachrichtigt hatte. Sie würde Lisa etwas später ins Krankenhaus folgen.
«Dann hat das Reiki deiner Freundin vielleicht ja doch geholfen», sprach Lisa aufgeregt in den Hörer, bevor sie auflegte.
Sie schnappte sich noch das Fotoalbum, ihre Tasche und die Schlüssel und warf eilig die Wohnungstür hinter sich zu.
Ob das
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