Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)
Kastanien fielen, Kastanien wie Hagelkörner niederschlugen. Klar hätte ich den Bus nehmen können, auch zu Fuß hätte ich es in eineinhalb Stunden zurück ins Dorf geschafft. Aber die Angst war los.
Ich steige nicht aus, bevor du dein Auto so hinstellst, dass es nichts aufs Dach bekommt. Habe ich gesagt.
Stani hat gelacht, mich sogar ein bisschen ausgelacht.
Ich gehe nicht!
Bis Stani merkte, wie ernst es mir war. Den Kopf schüttelte, aber das Auto in die Parkplatzmitte stellte.
Ich bleibe hier sitzen, sagte mein Onkel.
Aber wirklich!
Wirklich! Hat er versprochen.
Die kleine Schwester hört zu, er spürt es, er kann bei seinen Bildern bleiben, sie geht ihm nicht verloren, sie ist da.
Er, in seinem ersten Männeranzug und im weißen Hemd, hatte sich alles unendliche Male vorerzählt, wer er war: Janek Bili ń ski aus Polen; Zagorzy, und doch längst nicht mehr. Aus Aichhardt aber auch nicht, also aus Gschwag. Wo der Onkel wohnte, war auch er angemeldet. Und warum er nicht in eine Schule gehen wolle, das würden sie ihn bestimmt fragen: Ich bin schon zweiundzwanzig. Dass er selbst lernen könne, dass er früher sogar schon unterrichtet habe, dass ein Freund seines Onkels Lehrer an einem Gymnasium sei, dass der ihm Unterricht gebe, wenn es nötig würde, dass alles Lehrmaterial von ihm stamme. Unzählige Male hatte er sich das probehalber vorgesprochen, und vor allem: dass er sich fürs nächste Jahr zur Schulfremdenprüfung anmelden wolle. Dass er alles könne, nur kein Englisch. Sicher.
Dass man meinem Deutsch nichts anhört, das wollte ich beweisen, und ich kein Polack bin. Das mussten sie meiner Sprache anhören. Verstehen Sie, sagt er zur kleinen Schwester, verstehen Sie das?
Sie zuckt mit den Schultern.
Polack, das war ein Schimpfwort.
Ist es noch immer. Sagt sie.
Damals war es noch ein schlimmeres, für mich jedenfalls. Aber ein Deutscher wollte ich auch nicht sein. Ich wollte ein sehr gut deutsch sprechender Pole sein, dem man das Polnischsein genauso wenig anhörte wie ansah. Und zur Not doch lieber ein Deutscher als ein Polack, weil mir dann nichts passieren konnte. So habe ich gedacht.
Warum wollten Sie denn kein Deutscher sein?
Weil die schlimm waren, leuchtet Ihnen das nicht auf der Stelle ein, Herrgott! Weil die waren wie der Franke.
Die kleine Schwester senkt den Kopf. Nicht alle, bestimmt nicht, sagt sie.
Was wissen Sie denn? Er spürte seine Wut. Sie haben keine Ahnung!
Sie stand auf.
Herrgott, nun hauen Sie nicht gleich ab!
Warum sagen Sie so was? Sie fragt es ganz ruhig.
Er sagt nichts. Er spürt neben sich das Zögern der jungen Frau, die Ambivalenz in ihrem Körper, gehen oder bleiben. Er kann sie nicht festhalten, doch er könnte, aber er hat sie noch nie angefasst. Sie soll dableiben, bitte. Du kannst ungerecht sein, hört er Agota sagen. So hatte das seine Frau immer genannt; das war eine freundliche Deutung.
Es tut mir leid, sagt Bili ń ski. Bitte bleiben Sie! Bitte!
Sie zögert. Aber das war schon mehr ein Innehalten, reglos, neben ihm, die Beine still. Merkwürdig, was sie dann macht, wie ein Hund dreht sie sich um die eigene Achse. Und setzt sich wieder. Nicht den Kopf schütteln, Janek, denkt Bili ń ski. Nicht. Er schaut sie an, weil er ihre Augen sehen möchte, aber sie schaut nicht zu ihm, er kann warten, er schaut auf ihr Kinn, aprikosig ist das, auf ihre Lippen, die dagegen schmal sind und in der Wut nicht mehr da. Er weiß nicht viel von ihr, aber mehr als von der jungen Frau, an die sie ihn wieder und wieder erinnert.
Bitte, sagt Bili ń ski, seien Sie jetzt nicht böse auf mich.
Sie hebt kurz das Kinn, blickt ihn an, er sieht das Funkeln in ihren Augen, das letzte Glimmen ihrer Wut.
In Ordnung, sagt sie.
Gut. Sagt Bili ń ski.
Ich bin aus Stanis Auto ausgestiegen, die Mappe mit den Unterlagen in der einen Hand, den Griff der Autotüre in der anderen, im Kopf augenblicklich eine vollkommene Leere und der eine Satz: Ich bin Janek Bili ń ski. Ich bin Janek Bili ń ski. Ich bin Janek Bili ń ski. Als sei ich in einer Endlosschleife, im Ohr plötzlich ein Spechtklopfen, tock, tock, tock. Ein Summen rutschte mir auf die Lippen, so dass ich dachte, ich werde verrückt. Hör auf, habe ich zu mir selbst gesagt, aber das Summen kam wie Schüttelfrost aus meinem Körper, ein angstvolles Tönen, als klapperte ein Vogel Warnsignale. Nichts half. Ich konnte es nicht sein lassen, auch dass ich in kürzester Zeit sowohl die Anzahl der Bäume auf dem Parkplatz
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