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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Hoffmann
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gezählt hatte, als auch der Autos, die da standen, brachte mich nicht aus meiner Not. Das Summen hing fest. Wimmerte zwischen Kehlkopf und Hinterkopf und machte mich zu einem Irren. Die Hand an der Autotür, fühlte ich nur dies sich einbrennende Geräusch und die Unmöglichkeit, einen einzigen Schritt zu tun. Es schien eine Unendlichkeit vergangen zu sein, bis mein Onkel bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte mit mir, und er stieg aus dem aschgrauen Käfer aus, schaute mich an, aber schwieg. Die Tür schlug ins Schloss. Nun kommt er und schlägt mich, dachte ich. Der Onkel lief ums Auto herum und löste mir die Hand vom Türgriff.
    Komm, sagte er, ich gehe mit dir.
    Wie lange hat er daran nicht mehr gedacht! Eine schiere Ewigkeit. Seine Hand war ein Klammeraffe gewesen, eine Krampfhand. Spastisch.
    Das Gefühl, mutterseelenallein zu sein, war eines tief drinnen. Es kam immer wieder. Bis heute liegt es stumm in ihm, manchmal wacht es auf.
    Wie die Angst wieder wegging, wann sie mich verlassen hat? Er schüttelt den Kopf, er weiß es nicht mehr.
    Ich bin müde, sagt er, das ist furchtbar.
    Nein. Sagt die kleine Schwester, das ist gut.
    Ich schlafe nicht!
    Ja.
    Er hört die Uhr vor seiner Zimmertüre, das Weiterrücken des Zeigers. Nachts, wenn alles ganz still ist in der Villa, wenn die kleine Pflegeeinrichtung frei ist von Besuchern, wenn nur die Halbtoten und Todkranken in ihren Betten ihren Gedanken nachhängen und nur manchmal einer laut schreit, laut spricht, sind auch die Schwestern und Pfleger ruhig, gelassen, sofern nicht etwas Unerwartetes passiert. Ein Arzt schläft oben im Turmzimmer. Wie ein Hausherr. Und er, Bili ń ski, denkt manchmal, ich halte Wache. Über alle. Ich halte den Tod in Schach, ich erzähle ihm so lange, bis er einschläft, Nacht für Nacht, so funktioniert das Überleben. Er weiß, wie das geht. Er kennt es. Er gibt diese Strategie nicht preis. Aber sie hilft ihm schon eine ganze Weile. Es wird nicht leichter, das Erzählen. Er denkt an die Nächte, in denen er von Agota erzählt hat, und wie die kleine Schwester begann, sie zu lieben: Sagen Sie es mir genau, wie sah Agota aus, was hatte sie für eine Stimme? Augen? Haut?
    Sie ist hier gestorben. Hier im Haus. Sie war noch schön, auch ohne Haare.
    Er hat alles erzählt, auch ihren Körper erzählt, aber nicht so, wie er ihm nun in den Sinn kommt, warum nun in diesem Augenblick? Er war doch schon ganz woanders, er war so weit schon in die Vergangenheit geraten beim Erzählen. Das Gedächtnis ist nicht mehr zu kontrollieren, hatte Onkel Stani damals gesagt, als er merkte, ihm kommen Wörter abhanden, Namen, ihm kommt seine Geschichte abhanden. Es ist, als risse jemand Ausschnitte aus einer Zeitung, hatte Stani immer wieder gesagt. Bili ń ski hatte sich unscharfe Kanten vorgestellt, die um ein Loch rankten. Ihm geschieht das Gegenteil. Seine Erinnerung blüht. Bäume machten das doch so vor dem Sterben.
    Er hört, wie Marita aufsteht, er sagt nichts. Er hört ihre ruhigen Schritte, wie die Tür über den Linoleumboden streift, hin und zurück, wie die kleine Schwester sie ins Schloss zieht. Es ist noch nicht zweiundzwanzig Uhr.
    Tschüss, bis im nächsten Leben. Agotas warme raue Stimme, ihr Lachen im Weinen, Agotas leichter Körper. Du lässt dich dann hinter mir begraben, so dass wir wieder liegen wie immer.
    Okay, hatte er gesagt.
    Weine nicht, sie. Wie immer.
    Agotas kleine Brüste in seinen Händen, rund und fest. Die Rippen fast zählbar, jedenfalls wenn er mit den Fingern darüberkletterte, Agota flach auf dem Bett liegend, mädchenhaft, leichtgewichtig, die Beine spreizend, sobald sie seine Hand spürte, weit spreizend, als wolle sie seine ganze Hand aufnehmen, und er kletterte mit der Hand über ihre Hüfte hinunter auf ihre weichen, aber trainierten Schenkel, wanderte hinab ins Tal und über ihre Scham hinweg. Seine Hand legte sich auf den Hügel, drückte zu, rieb ihn, unterdessen nur der Zeigefinger über die kleine Insel strich, die anderen Finger sich bereit machten, sich nach und nach beweglicher zeigten, Agota die Beine noch weiter spreizte: Schau hin, schau mich an! Bili ń ski spürt, wie ihm wieder das Wasser in die Augen drückt, trotz der körperlichen Erregung; da war etwas Heiteres, Aufgeregtes plötzlich in seinem Körper und eine Trauer zugleich, sie stritten sich nicht. Und während er mit der Hand langsam seinen Schwanz reibt, legt sich die Nässe wie ein Tuch auf sein Gesicht, in die Mundwinkel, er leckt das

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