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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Hoffmann
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sehr, dass ich Brechreiz spürte.
    Du isst nicht! Sagte der Mann. Wie oft der das wiederholte!
    Ich zog mir das Kissen über den Kopf, die Ohren.
    Was sollte ich sagen? Ich esse nicht aus deiner Hand.
    Warum eigentlich fällt ihm das jetzt ein. Weil er nicht einschlafen will, weil er Angst hat, dass im Schlaf der Tod kommen könnte? Heute mehr denn je? Warum gerade heute? Man stirbt nicht in Nächten, in denen man es erwartet.
    Onkel Stani. Er hat ihn mitgenommen aus Aichhardt. Janek war zu ihm ins Auto gestiegen, mit ihm übers Land gefahren, wieder aus dem Auto gestiegen, die Berge vor der Nase, so nah, dass er dachte, er könnte sich an ihnen reiben. Berge und ein Gewitterhimmel bei der Ankunft in Gschwad, dass ihm hätte angst werden können. Eine schwarze Wand, dahinter versteckte sich die Welt. Im Dunkeln: ein Steinhaus, kein Holzhaus, ein Garten, ein Platz für das Auto, eine Treppe, die hineinführte ins Haus, mit einem Eisengeländer, wie er es aus der Stadt kannte, seiner Kindheitsstadt. Der Onkel im Auto hatte immer wieder versucht mit ihm zu sprechen, ob er gut behandelt worden war in Aichhardt, ob er sich gefürchtet hatte, dass Leo ein netter Mann sei.
    Ja. Ja-nein. Ja.
    Das Schweigen, er wusste später nicht einmal, ob der Onkel es bemerkt hatte. Gschwad, also. Bei Gewitter. Und wie Agota lachte, als er es ihr erzählte damals: Wie im Film, so muss es im Film sein. Und er nicht lachen konnte. Auch fünfzehn Jahre später nicht. Auch sechzig Jahre später nicht. Man sucht sich dramatisches Wetter doch nicht aus. So war es halt. Hatte er zu Agota gesagt.
    Jetzt erzählt er nicht. Er liegt hellwach, die kleine Schwester war wieder hinausgegangen, nach nebenan zum Scheinheiligen. Sie komme wieder.
    Das wird dein Zimmer, wenn du möchtest, sagte der Onkel. Da geschah es: Die Hand des Onkels legte sich auf seinen Arm, blieb liegen, blieb zu lange liegen, und drückte sich vertraulich gegen seine Haut. So lange, bis er den Arm weggezogen hatte.
    Fühl dich wohl, hatte der Onkel gesagt.
    Da wollte er rennen. Das Gesicht des Onkels verschwamm, seine Hand war eine Pranke, seine Stimme, eine, die Dialekt sprach.
    Lass mich, wollte er sagen. Wollte heraus aus dem engsten, letzten Winkel des Hauses, hinten oben, einer Mansarde, aus der man nur springen konnte, und dann war man tot. Er wollte am Onkel vorbei. Er wollte dableiben, seine Ruhe haben, drehte sich in den Raum hinein, dem Onkel den Rücken zu: Ein Bett, ein weißer Bezug, eine raue rot-grün melierte Wolldecke, die er gleich mochte, ein Nachttisch mit Schublade, er hatte nichts für die Schublade. Doch, er hatte Izys Halsband, aber das kam unters Kopfkissen. Das Bett, so schmal wie Paulas. Das Bett eine Bettstatt mit zwei geschnitzten Köpfen in den Pfosten, damit sie die Geister vertrieben vielleicht. Er zählte: Genau drei Gegenstände im Zimmer. Man konnte aber das Waschbecken mitzählen, dann wurden es vier: ein Bett, ein Schrank, ein Nachttisch. Ein Nachttisch, ein Schrank, ein Bett, ein Waschbecken. Vier. Vor und zurück, vor und zurück. Hinter ihm stand der Onkel. Gab es einen Schreibtisch? Hinter ihm stand der Onkel, und er hörte ihn atmen, ruhig: Sein Atem ging langsamer als seiner, Janeks, sein Atem wusste, was er tat. Nicht umdrehen. Er fühlte ein Zucken in den Beinen, im Gesicht, der Körper steif wie ein Brett, wie einer, der umfallen konnte und nichts mehr spüren. Ein Waschbecken, ein Bett, ein Schrank, ein Nachttisch. Vier. Der Onkel hatte etwas gesagt. Was?
    Das Fenster war durch vier geteilt, wie bei Leo im Haus. Vier. Er suchte. Im Raum war nichts, woran sich sein Auge festhalten konnte, nichts weiter, was messbar war in Zahlen. Nur der Onkel. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, er ging nicht hinaus, neun, zehn, er bewegte sich genauso wenig, wie Janek es tat. Still, wie verwurzelt standen sie im Zimmer, und Janek zählte, sechsundzwanzig, als der Atem des Onkels von dessen Stimme verschluckt wurde:
    Ist alles in Ordnung, mein Junge? Dann lass ich dich allein.
    Ein Handtuch hing neben dem Waschbecken. Ein kleines Tüchlein auch, wozu das gut war?
    Der Atem setzte wieder ein. Eins, zwei, drei, vier.
    Ich lass dich allein. Dann kannst du dich frisch machen.
    Ein Fuß rührte sich, ein Körper regte sich, ein Fuß setzte sich vor den anderen Fuß. Die Türe bewegte sich lautlos im Scharnier, er spürte die Bewegung. Er hörte, wie die Klinke sich senkte, wie die Tür ins Schloss gezogen wurde; Schritte auf Dielen,

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