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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Hoffmann
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Schritte auf der Treppe, nichts mehr, nichts war mehr zu hören. Er drehte sich um. Die Türe hatte einen Schlüssel. Innen. Er stand still. Das Zimmer hatte ein Tischlein, es hatte ihm im Rücken gestanden, man sieht von dort aus, wo man steht, nur die Hälfte der Welt, war ihm eingefallen. Wie Nähmaschinen Tischlein hatten, so gehörte zu diesem Zimmer ein Tischlein und ein Stühlchen: Wie für ein Kind, dachte Janek. Er weinte. Er weinte ja!
    Wie er sich waschen sollte, wenn er keine frischen Kleider hatte? Wie er sich so auf dieses reine Bett setzen sollte?
    Schritte auf der Treppe. Es passiert nichts, wollte er sagen, er ist doch dein Onkel. Aber sein Körper war schneller ein hartes Brett, als er denken konnte, die Knie zuckten wie halbtot geschlagene Fliegen, er wollte nicht zittern. Schritte auf Dielen. Es klopfte.
    Er rührte sich nicht, verharrte wie eine Maus in einer Ecke, wie ein Dieb in seinem Versteck, wie ein sich elend fühlender Verräter im Exil. Es klopfte noch einmal. Dann öffnete sich vorsichtig die Tür. Janek konnte sich nicht bewegen.
    Die Onkelstimme, es war die Onkelstimme, die sagte: Junge, hier ist ein Hemd, und was du sonst noch brauchst für heute, morgen gehen wir für dich etwas zum Anziehen einkaufen.
    Janek wollte nicken, wollte sagen: Danke! Wenigstens das. Aber sein Mund öffnete sich stumm, schnappte auf wie ein Fischmaul und schnappte wieder zu. Versuchte es noch einmal und schnappte noch einmal zu. Nur die Lippen machten ein leises Geräusch.
    Ich mach uns etwas zu essen, sagte der Onkel.
    – – Stille.
    Er hob seinen Rucksack auf das Tischlein. Er schnürte den Knoten auf. Die Mütze von Wiechek lag obenauf, die dunkelblaue zerschlissene Mütze. Er legte sie auf den Tisch. Er bewahrte noch eine Hose auf, ein Hemd. Die Kleider aus Polen, die Jacke, die ihm die Mutter geschenkt hatte, mit den Knöpfen, die noch glänzten, wie Perlen. Er fasste nach unten in den Rucksack. Er umfasste es, und immer war das so, wenn er das Halsband in der Hand hielt: Izy war da.
    Wenn man aus dem Fenster schaute, sah man in der Ferne Dörfer liegen, mehrere, und Berge, aber nicht die großen, die er vorhin gesehen hatte, flachere, die Reste sein konnten, die der Untergrund von jenen sein konnten, die mehr Richtung Süden standen. Die Alpen. Nichts wusste er. Die Alpen, das war kein Wort, das im geläufig war, bevor er bei Onkel Stani im Auto saß. Er hatte das Halsband unter das Kopfkissen gelegt, das sich schwer und voll anfühlte, wie sollte er auf so einem Ding schlafen? Er setzte sich auf den Boden, schnürte die Stiefel auf. Wenn er die Tür abschloss?
    Der tut dir nichts. Er sagte es laut.
    Er stand wieder auf, nahm den kleinen Stuhl und schob ihn gegen die Tür, stellte ihn leicht schräg und klemmte die Lehne unter die Klinke. Dann zog er die Schuhe aus, und den Rest auch. Das Tüchlein, das kleine, das nahm er, um sich zu waschen. Es war aus rauem Stoff und kariert, fast so wie die Tischdecken, die er viel später im einen oder anderen Wirtshaus sah. Etwas verändert vielleicht, aber so, dass er immer an die Tüchlein dachte, mit denen er sich gewaschen hatte in der Zeit bei Onkel Stani.
    Er wusch sich und zog das Hemd an, das war ein bisschen eng an den Schultern und den Armen und kurz war es auch, und die Hose war zu weit, aber der Onkel hatte einen Gürtel dagelassen, den zog er so eng, dass er sich gut zugeschnürt fühlte. Er stand im Zimmer, es gab nichts, was ihm gehörte. Er stand im Zimmer, ein wenig wie betäubt, und schlüpfte in den neuen Kleidern unter die Decke, weil er nicht wusste, was er tun sollte, und weil er nur an Paula denken konnte, und nicht einmal an Izy.
    Wie viele Wochen das gebraucht hatte, bis er wusste, Onkel Stani würde ihm nicht zu nahe kommen; bis er es glaubte! Bis er aufhörte zu denken: Schwuler Bock. Schimpfwort von Wiechek. Dass er sich nicht wusch, ohne den Stuhl unter die Klinke zu klemmen, hörte nie auf. Da konnte er sich noch so gut zureden.
    Die kleine Schwester bleibt so lange beim Scheinheiligen. Warum eigentlich? Sie soll kommen! Er will aber nicht klingeln. Was hat der Scheinheilige denn zu erzählen? Der lag doch im Koma, oder? Wie nennt sie ihn, Bili ń ski, wenn er nicht dabei ist? Das muss er sie fragen. Er klagt nicht. Alte jammern immer. Agota hat auch nicht gejammert. Nie. So zäh war Agota. Aber sie war auch nicht alt.
    Er hatte der kleinen Schwester doch den Kummer mit Paula erzählen wollen.
    Sie zieht die Luft ein, eins,

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