Was ist Demokratie
bekommen, politische Entscheidungen zu treffen. So konnten «viele» an der Herrschaft beteiligt sein, als Wähler oder als Gewählte, aber die Erwartung, das Volk führe in der Demokratie gleichsam seine eigenen Geschäfte, würde erst gar nicht aufkommen. Grundrechte wie die freie MeinungsäuÃerung schloss Dahl in seine Bestimmung der Polyarchie ausdrücklich ein, aber im Kern ging es ihm um eine realitätsnahe Beschreibung der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie in gröÃeren Nationalstaaten. Aus heutiger Sicht ist sein Begriff deshalb nicht ganz glücklich, denn man würde mit einer Polyarchie inzwischen eher die Vielfalt alter und neuer demokratischer Institutionen und Handlungsmuster verbinden, zum Beispiel das Nebeneinander von Parlament und Zivilgesellschaft.
Tatsächlich überwiegt heute meist die Kritik an den reduzierten Definitionen von Demokratie aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Man kannaber nicht einfach die Messlatte späterer Entwicklungen an sie anlegen und muss sie stattdessen in ihrer historischen Situation würdigen. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag dazu, die Demokratie nach einer langen und tiefen Krise wieder überzeugungsfähig zu machen. Die neue Bescheidenheit der 1940er und 50er Jahre entlastete von utopischen Erwartungen und von ideologisiertem Missbrauch und stellte, im Kontext der Auseinandersetzung mit totalitären Diktaturen, seit 1945 vor allem im «Kalten Krieg», klare Kriterien zur Verfügung: Wie steht es um Menschenwürde, Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Parteienpluralismus? Dass sie dabei auch eine selbstbewusste Seite zeigte, ja die Ãberlegenheit einer solchen Demokratie behauptete, wird man diesem Konzept angesichts der historischen Situation und der real existierenden politischen Alternativen zwischen Berlin, Rom und Moskau kaum zum Vorwurf machen können.
Vielmehr wirken zwei zentrale Motive aus dieser Zeit in die heutigen Debatten über Demokratie fort. Zum einen ist das der Gedanke der Verantwortlichkeit â im englischen Jargon: der «accountability» â von Repräsentanten gegenüber den Wählern. Denn im Sinne von Joseph Schumpeter und Robert Dahl vollziehen Parlamentarier nicht den Willen des Volkes â aber sie sind den Bürgerinnen und Bürgern verantwortlich, also im Sinne des englischen Begriffes rechenschaftspflichtig («accountable», nicht nur «responsible»). Zum anderen, und noch grundlegender, ist das der Gedanke von der Bescheidenheit der Demokratie, wie sie in Churchills ironischer Definition anklang. Demokratie tritt nicht triumphal auf, sondern weià um ihre eigenen Schwächen, um ihre Zerbrechlichkeit; sie ist nicht wehrlos gegenüber Angriffen, aber offen für die überlegene Alternative und für ihre eigene Fortentwicklung. So hat der Historiker und Politologe John Keane kürzlich die Stärke der Demokratie gerade in ihrer Schwachheit, in ihrer Demut und Bescheidenheit gefunden.
2 Demokratieimport:
Westdeutsche und Amerikaner seit 1945
Am 8. Mai 1945, acht Tage nach dem Tod Hitlers im Bunker der Berliner Reichskanzlei, kapitulierte das Deutsche Reich bedingungslos gegenüber den westlichen Alliierten und der Sowjetunion. In Europa war der Zweite Weltkrieg zu Ende und damit auch die Herrschaft des Nationalsozialismus,der von Deutschland aus immer gröÃere Teile Europas unterworfen, unterdrückt und ausgebeutet hatte. Die Vernichtungsmaschinerie des Holocaust war in den Todeslagern wie Auschwitz schon Monate zuvor, mit dem Vormarsch der sowjetischen Truppen, zum Stillstand gekommen, aber im Reichsgebiet ging das mörderische Handeln bis zum letzten Moment in Todesmärschen und Deportationen weiter. In Buchenwald, Dachau und anderen befreiten Konzentrationslagern stieÃen die alliierten Soldaten auf Leichenberge und halb verhungerte Häftlinge, von denen viele tausend die nächsten Wochen nicht überlebten. Zugleich waren Millionen Deutsche auf der Flucht aus den östlichen Gebieten des zugrunde gehenden Reiches in den Westen. Drei Monate später endete, nach den amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, der Zweite Weltkrieg auch in Ostasien und im Pazifik. Das Jahr 1945 wurde zur tiefsten Zäsur nicht nur in der deutschen Geschichte, sondern in der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Wie eine neue politische Ordnung in Deutschland, Italien und Japan, aber auch in den von
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