Was ist Demokratie
nichts anderes sein als ein ständiges Herumwursteln; sie war nie das groÃe Ganze und immer nur Stückwerk: «piecemeal engineering», wie Karl Popper es nannte. In den 1970er Jahren berief sich ein deutscher pragmatischer Sozialdemokrat, Helmut Schmidt, als Bundeskanzler immer wieder darauf.
Für Schumpeter war die ideologische Stilisierung der Demokratie â er nannte sie geradezu einen Religionsersatz, einen Pseudo-Protestantismus â der Hauptgrund für das Fortwirken der klassischen Lehre, denn ihre Argumente sah er längst widerlegt. Umso knapper setzte er sein «realistisches Konzept» dagegen, indem er definierte: «Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher Einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmendes Volkes erwerben». Bewusst vermied er, jedenfalls in der Definition, das Substantiv «Demokratie» und sprach stattdessen von einer «Methode». Darum also ging es im Kern: um eine Ordnung der Entscheidungsfindung, um ein Verfahren zur Bestimmung von politischer Führung auf Zeit. Man spricht deshalb auch von einer «prozeduralen» Definition von Demokratie, die sich für irgendwelche höheren Werte oder für die vermeintlich überlegenen Leistungen von Demokratie (für ihren «output») gar nicht interessiert. Vielleicht konnten Diktaturen ja tatsächlich ökonomisch dauerhaft erfolgreicher sein, oder ihren Bürgern mehr soziale Sicherheit bieten â das deutsche wie auch das sowjetische Beispiel legten das um 1940 noch für viele Zeitgenossen nahe. In diesem Wettbewerb konnte die Demokratie jedenfalls nicht automatisch den Vorrang beanspruchen.
Sie war vielmehr selber ein Wettbewerb: ein Kampf um die Stimmen und den Regierungsauftrag des Volkes bzw. seiner Mehrheit. Hier sprach unverkennbar der Ãkonom, der Marktwirtschaftler Schumpeter. Zugleich reduzierte sich die Idee des Volkes, seit den Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts mit so viel Emphase und Pathos ausgestattet, damit auf einen bescheidenen Kern: auf das Recht, Einzelnen oder demokratischen Eliten bis zur nächsten Runde, bis zur nächsten Wahl die politische Entscheidungsbefugnis zu übertragen. Gegen den Kult des homogenen Volkes setzte Schumpeter die Interessen von Gruppen. Und im Kern ging es um eine institutionelle Ordnung, in deren Zentrum der repräsentative Parlamentarismus stand und die aus ihm hervorgehende Exekutive, nicht die Bürgerinnen und Bürger. Demokratie sollte nicht den Anspruch erheben, allgemeine Lebensform in allen Verästelungen des Alltags zu sein â ein Konzept, wie es John Dewey auch während des Zweiten Weltkriegs als «kreative Demokratie» propagierte. Ihr Platz war die klassische staatliche Politik, mehr nicht.
Damit war der Erwartungshorizont an demokratische Herrschaft ganz erheblich eingeschrumpft, denn die neue Definition kam nicht mit dem heroischen Gestus der Ãberlegenheit daher, sondern präsentierte gleichsam ihre offene Flanke. Wenige Jahre nach Schumpeter lieferte Winston Churchill â nach dem Labour-Wahlsieg von 1945 nur noch Oppositionsführer â eine mindestens ebenso berühmte, wenn auch theoretisch nicht so gehaltvolle Definition in eng verwandtem Geiste. Viele Regierungsformen, so teilte er dem Unterhaus am 11. November 1947 mit, seien im Laufe der Zeit ausprobiert worden, und niemand behaupte, dass die Demokratie perfekt sei. «Indeed, it has been saidthat democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.» Die Demokratie als die schlechteste Regierungsform, mit Ausnahme aller anderen: Darin kam ein neuer, ironischer Umgang mit ihr zum Ausdruck, der das revolutionäre Pathos der VerheiÃung einer besseren Zukunft abgestreift hatte, sich zugleich aber die Ãberlegenheit der Demokratie gegenüber allem, was sonst gerade im Angebot war, nicht ausreden lieÃ. SchlieÃlich war es auch Churchill gewesen, der den Begriff des «Eisernen Vorhangs» geprägt hatte, und der Kalte Krieg war mit der Truman-Doktrin vom 12. März 1947 gerade in seine erste «heiÃe» Phase getreten.
Neben der Schumpeter-Churchill-Linie stand jedoch zur selben Zeit eine andere Variante des Versuchs, die Zukunftsfähigkeit der Demokratie in der Reduzierung auf einen Kernbestand ihrer
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