Was ist Demokratie
Deutschland annektierten oder unterworfenen Gebieten Mittel- und Osteuropas aussehen sollte, war damit noch nicht entschieden. In den ersten Monaten nach Kriegsende standen für viele Menschen die unmittelbaren existentiellen Nöte im Vordergrund: Ernährung, Wohnung, die Zusammenführung der Familie. Aber die Erwartung richtete sich zugleich, wenn auch häufig noch in diffuser Weise, auf ein Leben in Sicherheit und Würde, in Freiheit und politischer Selbstbestimmung â und damit auf die Demokratie, die es wiederherzustellen, aber auch neu zu begründen galt. Denn eine bloÃe Wiederherstellung der Verhältnisse der Zwischenkriegszeit, eine Rückkehr in die 1920er Jahre, konnte man sich nach dieser Zäsur kaum irgendwo vorstellen. Für Deutschland versperrten die Alliierten diesen Weg zudem ganz bewusst. Der Weimarer Republik eine zweite Chance zu geben, in der der Nationalsozialismus groà geworden war, stand niemals zur Debatte. Es ging schlieÃlich darum, die Wurzeln der NS-Bewegung und ihrer zwölfjährigen Gewaltherrschaft auszurotten, wie die alliierten Verlautbarungen immer wieder betonten, auf amerikanischer und britischer genauso wie auf französischer und sowjetischer Seite.
Insofern war das Ziel der im Frühjahr 1945 in den vier Zonen errichteten Besatzungsherrschaft nicht zuerst die Errichtung von Demokratie, sondern die Unterwerfung eines Feindstaates und die Zerstörung alles dessen, worauf sich das nationalsozialistische Regime gestützt hatte: voran die NSDAP, genauso aber auch die militärischen Infrastrukturenund die wirtschaftlichen Ressourcen, welche die Kriegführung des Deutschen Reiches ermöglicht hatten. Für ihre Leiden und Kosten wollten sich die Sieger entschädigen, durch Reparationen und Demontagen. Nie wieder sollte Deutschland in der Lage sein, den Frieden Europas und der Welt zu stören. Zeitweise dachten auch die Amerikaner daran â wie in dem Plan Henry Morgenthaus, Finanzminister unter Roosevelt bis Juli 1945 â, den gefährlichen Riesen in der Mitte Europas durch konsequente Deindustrialisierung dauerhaft an einer neuen wirtschaftlichen Führungsrolle zu hindern. Diese Position setzte sich nicht durch und trat zunehmend in den Hintergrund, spiegelte sich aber noch in der berühmten «Direktive JCS 1067» vom April 1945, der Anweisung an die amerikanischen Besatzungstruppen, wie mit dem besiegten Deutschland umzugehen sei. Hungersnöte und Seuchen sollten mit alliierter Hilfe vermieden werden, aber der Lebensstandard der Deutschen sollte nicht über das Niveau ihrer Nachbarn steigen.
Die wichtigsten Ziele besonders der amerikanischen Besatzungspolitik bündelten sich in den sogenannten «vier Dâs»: «denazification», «demilitarization», «decentralization» (teilweise auch als «decartelization» der Wirtschaft gefasst) und «democratization». Dieses Begriffsbündel lässt die Prioritäten der Alliierten, aber auch den besonderen Stellenwert der Demokratisierung plastisch erkennen. Denn fast ausnahmslos handelte es sich um «negative» Begriffe (gekennzeichnet durch das Präfix «De»), welche auf die Bekämpfung und Befreiung von etwas abzielten: von Nazismus und Militarismus, von Kartellierung, Konzentration und politischer Indienstnahme der Wirtschaft, besonders der GroÃindustrie, von zentralisierten und autoritären Führungsstrukturen in der Politik. Nur das letzte «D» bezeichnete keine Negation, sondern eine positive, eine konstruktive Aufgabe. Die Demokratisierung Deutschlands stand damit nicht im Mittelpunkt der alliierten Ziele, war aber doch auf besondere Weise hervorgehoben â und von Anfang an Bestandteil der alliierten Strategien und ihrer moralischen Emphase.
Tatsächlich lieÃen sich Entnazifizierung und Demilitarisierung kaum auch nur denken ohne das Ziel der Demokratie als anderer Seite der Medaille. Schon in der Direktive JCS 1067 war, wenngleich noch vorsichtig und in einem unbestimmten Zeithorizont, von den «Vorbereitungen zu einem späteren Wiederaufbau des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage» die Rede â unter demselben Punkt, der die Ausschaltung von Nazismus und Militarismus, die Verhaftung der Kriegsverbrecher und die industrielle Abrüstung forderte.Ein Echo dieser Formulierungen fand sich ein gutes Vierteljahr später in den Beschlüssen der Potsdamer
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