Was ist Demokratie
aus dem sandinistischen Nicaragua, zunächst noch nicht den Weg aus relativ engen linken, kirchlichen und Jugendmilieus in den Hauptstrom der Mittelschichten fand.
Seit gut zwei Jahrzehnten sind die Konsumbürgerin und der Konsumbürger auch in Deutschland nicht mehr aus der Demokratie wegzudenken. Wahrscheinlich markiert die Reaktorkatastrophe vonTschernobyl im April 1986 den Wendepunkt von einem Minderheitenthema zur allgemeinen Aufmerksamkeit und «Betroffenheit». Denn Themen der globalen Gerechtigkeit spielen zwar weiterhin eine wichtige Rolle, aber die eigene Gesundheit und die Lebensmittelsicherheit für die eigene Familie stehen seitdem im Mittelpunkt. Die Politisierung des Konsumverhaltens hat nicht zufällig im späten 20. Jahrhundert eine Konjunktur erfahren: In ihr konzentrieren sich Spannungsfelder der Moderne und ihres kulturellen Selbstverständnisses. Die Wirkungsmacht und Attraktivität der Massenkonsumgesellschaft steht gegen die Einsicht in die Grenzen der Nachhaltigkeit ungehemmten Verbrauchs und gegen Utopien von einer postmaterialistischen Gesellschaft, in der â mit Erich Fromms Klassiker gesprochen â das «Sein» wichtiger ist als das «Haben». Konsumfragen eignen sich, in einer langen Tradition der «moralischen Ãkonomie», besonders gut für eine Ethisierung der Politik; sie bringen die besondere moralische Vehemenz zum Klingen, die zum politischen Stil der neuen sozialen Bewegungen gehört, in der Bundesrepublik vielleicht noch mehr als anderswo.
So haben sich die Grünen zunehmend als eine «Konsumentenpartei» etabliert und 2001 â nach dem BSE-Skandal â dafür gesorgt, dass das bisherige Landwirtschaftsministerium, oft als Lobbybehörde der Agrarproduzenten kritisiert, unter Renate Künast primär zum Ministerium für Verbraucherschutz wurde. Es versteht sich seither als Anwalt von Konsumenteninteressen nicht mehr nur in Ernährungsfragen, sondern z.B. auch im Datenschutz. Konsumpolitik steht auÃerdem in einer Ãbergangszone von Privatheit und Ãffentlichkeit, die am Ende des 20. Jahrhunderts die klassische Trennung der beiden Sphären zunehmend abgelöst hat, und damit im Schnittpunkt wichtiger Aushandlungsprozesse zwischen Individuum und Gesellschaft. Sie repräsentiert aber nicht nur neue Themen- und Handlungsfelder der Politik; sie ist nicht nur «policy», sondern «politics». Denn Konsumbürger engagieren sich bevorzugt in den neuen Formen der Demokratie jenseits von Wahlen und Parlamenten: in Protesten und Initiativen, in Interessengruppen und Nichtregierungsorganisationen wie «foodwatch» oder «Greenpeace»; von der eigenen Nachbarschaft bis zur globalen Ebene. Die Konsumbürgerin wird die Staatsbürgerin nicht ablösen; das wäre ein Missverständnis des Begriffs. In der partizipatorischen Demokratie sind Konsumbürger jedoch mehr als nur irgendwelche Akteure.
5 Vernünftiger Konsens, machtvolle Konflikte:
Der Streit um die «deliberative Demokratie»
Eine lebhafte Debatte im Parlament, das Ringen einer Kommission um die beste Lösung für ein politisches Problem, der friedliche Austausch von Argumenten und das Bemühen, den Anderen dabei zu überzeugen: In solchen Situationen drückt sich ein weit verbreitetes, alltagsweltliches Bild von Demokratie aus. Demokratie kann nicht nur in Institutionen bestehen, denen die Bürger für eine bestimmte Zeit ein Mandat zur Machtausübung verleihen, wie es das Konkurrenz- und Elitenmodell Joseph Schumpeters in der Mitte des 20. Jahrhunderts vorgesehen hatte. Aber ohne Institutionen geht es auch nicht. Denn einen ursprünglichen politischen Willen des «Volkes» gibt es nicht, und wo man sich auf ihn berufen hat, diente das eher der Rechtfertigung von Diktaturen. Individuen müssen, als private Personen, in ihren Grund- und Freiheitsrechten geschützt werden. Aber sie sind immer auch politische Bürgerinnen und Bürger, die in einer öffentlichen Arena handeln und diskutieren. Lässt sich Demokratie dann nicht am besten als ein Prozess verstehen, in dem alle Beteiligten mit gleichen Chancen vernünftig über Fragen des Gemeinwohls argumentieren, mit dem Ziel möglichst breiter Ãbereinstimmung statt rascher Entscheidung durch Mehrheitsbildung, die eine Minderheit zum Verlierer macht? Das ist der Grundgedanke der «deliberativen» Demokratie.
Bei dieser,
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