Was ist Demokratie
wie man den Begriff übersetzen könnte, vernünftig argumentierenden, debattierenden, überlegenden Demokratie handelt es sich nicht um einen konkreten Typus politischer Herrschaft, nicht um eine neue Variante demokratischer Praxis neben der repräsentativen oder der direkten Demokratie. Vielmehr geht es um ein eher abstraktes Konzept, mit dem Philosophen und Sozialwissenschaftler die Demokratie dem Grunde nach definieren wollen, nicht zuletzt im normativen Sinne des Wünschbaren: Gut und überzeugend wäre eine Demokratie dann, wenn sie sich dem deliberativen Ideal möglichst weitgehend annähert. In der politischen Theorie und Philosophie Europas und Amerikas ist die deliberative Demokratie während der letzten zwei bis drei Jahrzehnte zu dem vielleicht einflussreichsten Entwurf einer zeitgemäÃen, einer postklassischen Demokratie aufgestiegen. Zeitgemäà deshalb, weil das Konzept trotz seines fundamentalen und zeitlosen Anspruchs, den man genauso an das antike Athen anlegen könnte, gesellschaftlicheVeränderungen und demokratische Erweiterungen seit dem späten 20. Jahrhundert abbildet. Zu seinen Vertretern gehören berühmte amerikanische Sozialphilosophen wie John Rawls und Seyla Benhabib und ganz besonders â von Deutschland aus mit internationaler Wirkung â Jürgen Habermas.
Der 1929 geborene Philosoph und Soziologe hat in seinem 1992 erschienenen Buch «Faktizität und Geltung» eine Theorie der Demokratie und des Rechtsstaats ausgearbeitet, die seither viel diskutiert worden ist. Aber schon in viel früheren Arbeiten hat Habermas über die Bedingungen und Formen politischer Teilhabe nachgedacht. So hob er bereits 1962 die Bedeutung einer freien, weder von politischer Macht noch von kapitalistischen Marktinteressen gesteuerten Ãffentlichkeit hervor. Was die Aufklärung im 18. Jahrhundert ermöglicht hatte, geriet später unter den Druck von Bürokratie, Kapitalismus und Massenmedien. Seitdem trieb ihn die Frage um, wie Menschen sich in modernen Gesellschaften frei verständigen, wie sie ungezwungen miteinander kommunizieren können. In seinem Hauptwerk von 1981, der «Theorie des kommunikativen Handelns», fand er eine doppelte Antwort. Auf einer grundlegenden Ebene sah er die Vernunft, nach der das Projekt der Moderne seit der Aufklärung strebte, in der Praxis des Kommunizierens, des Miteinander-Sprechens, realisiert. Wo Menschen sich sprechend aufeinander einlassen, müssen sie sich «guter Gründe» bedienen, die das Gegenüber überzeugen (statt überreden oder bezwingen) können. Dafür müssen sie den eigenen Standpunkt verlassen, sich auf den Anderen und vor allem auf solche Argumente einlassen, die allgemeine Zustimmung finden können. Damit ist nicht einfach Mehrheitsfähigkeit gemeint: Am Ende des kommunikativen Prozesses steht die Einigung auf diejenige Position, die im Säurebad der Argumente als die für alle vernünftige übriggeblieben ist. Solche freie Verständigung jedoch konnte in den mächtigen, anonymen Systemen der Moderne keinen Platz finden: weder in dem von Macht geprägten bürokratischen Staat, noch in der vom Geld gesteuerten kapitalistischen Ãkonomie. Auf einer sozialen Ebene realisierten sich freie Verständigungsverhältnisse, Staat und Wirtschaft vorgelagert, in einer freien Lebenswelt: im privaten Leben, aber auch in der Ãffentlichkeit, und in der «Zivilgesellschaft» â dieses Konzept griff auch Habermas seit dem Anfang der 1990er Jahre zunehmend auf.
Damit schlug er zugleich eine Brücke zwischen der freien und vernünftigen Verständigung einerseits â dem «Diskurs» â und der demokratischen politischen Ordnung des Staates auf der anderen Seite. DasMiteinanderreden eroberte die Sphäre der Politik; Demokratie konnte als ein Prozess der Kommunikation gedacht werden, in dem sich Bürgerinnen und Bürger begegnen, Argumente austauschen und sich nach Abwägung aller Gründe auf die von allen für richtig gehaltene Lösung einigen. So verortet Habermas die deliberative Demokratie in der Mitte zwischen einem «liberalen» und einem «republikanischen» Modell. Aus letzterem, wie es etwa in der Sozialphilosophie der Kommunitaristen gepflegt wird, übernimmt er die Vorstellung einer politischen Selbstorganisation der Gesellschaft: Menschen sind von Natur aus politisch, gerade auch im
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