Was ist Demokratie
die aus der monarchisch-bürokratischen Staatsbildung der europäischen Frühen Neuzeit in die Demokratie übertragen wurden und bis heute Teile ihres Fundaments bilden. Dazu zählt grundlegend das von Max Weber beschriebene «Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit»; überhaupt die Ausschaltung oder Bündelung konkurrierender Herrschaftsansprüche. Auf einheitlichem Staatsgebiet sollten alle Einwohner gleichermaÃen «Untertanen» sein: Historisch war das ein wichtiger Weg (wenn auch vielleicht nicht der einzig mögliche) in die inklusive Staatsbürgerschaft und die gleiche Freiheit aller. Trotz des absolutistischen Anspruchs, der Monarch solle souverän und ohne Bindung an Gesetze entscheiden können, setzten sich überpersönliche Regelhaftigkeit und Verfahrensnormen zunehmend durch und wiesen in die demokratische «Legitimation durch Verfahren» (Niklas Luhmann) voraus. Der Rechtsstaat ging, gerade in Deutschland, der Demokratie historisch voraus â zum Beispiel mit dem preuÃischen Allgemeinen Landrecht von 1794 â und steht zugleich im Zentrum jüngster Demokratietheorie bei Jürgen Habermas. SchlieÃlich etablierte sich der frühmoderne Staat nicht zuletzt in der fiskalischen Erfassung seiner Untertanen, also als Steuerstaat. Was damals für die meisten Untertanen ein schlechtes Geschäft war, das überwiegend der Finanzierung von Militär, Bürokratie und Hof zugutekam, wandelte sich seit dem frühen 20. Jahrhundert in ein Instrument der sozialpolitischen Intervention und Umverteilung, und damit in eine doppelte Stütze der Demokratie: als Garant von Inklusion und sozialen Bürgerrechten, aber auch als Beschaffer demokratischer Legitimation durch den «output» materieller Leistungen.
Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts jedoch hat ein tiefgreifender Wandel von Staatlichkeit begonnen, dessen Konsequenzen für die Demokratie noch nicht ganz überschaubar sind. Der Staat thront nicht mehr monolithisch über der Gesellschaft, selbst wenn diese ihn demokratisch überhaupt erst herstellt. Die Zeit des «präzeptorialen Staates» (Helmut Willke) geht zu Ende. Der klassische Nationalstaat wird seitdem zu einem unter vielen politischen Akteuren und muss seine Rolle neben einer transnationalisierten Politik auf globaler Ebene einerseits, der lokalen Politik aus der Zivilgesellschaft andererseits neu bestimmen. Diese Veränderung verläuft am Beginn des 21. Jahrhunderts langsamer als eine Zeitlang erwartet, und sie führt wohl nicht in den Untergangdes Staates, wohl aber zu seiner «Zerfaserung». Auf der Innenseite der westlichen Demokratien hat der Staat nach dem «goldenen Zeitalter» viel von seiner Selbstverständlichkeit eingebüÃt. Um 1970 galt er noch, wie in der Vision Willy Brandts, als Bundesgenosse von Fortschritt und Demokratisierung. Seit den 90er Jahren sieht die Dynamik der sozialen Bewegungen und der globalen Zivilgesellschaft im Staat der repräsentativen Demokratie oftmals eher den Gegner einer abgekapselten Obrigkeit. Zugespitzt lautet die Forderung dann wieder, wie schon im 18. und 19. Jahrhundert, «Demokratie gegen den Staat» zu gewinnen.
Auf der AuÃenseite und in globaler Perspektive hat seit den 90er Jahren der englische Begriff «governance» Karriere gemacht und bündelt neue Spannungen zwischen Demokratie und Staatlichkeit jenseits des entwickelten Westens. Noch prominenter ist die normative Variante: «good governance», meistens übersetzt als gute Regierungsführung. Sein Ursprung liegt in der globalen Entwicklungspolitik, bei Institutionen wie der Weltbank, den Vereinten Nationen und der OECD, die damit ein Kriterium für die Angemessenheit materieller Hilfsleistungen, nicht zuletzt von Krediten, an politisch instabile Staaten zum Beispiel in Afrika gewinnen wollten. «Governance» hat sich als ein nützliches Konzept für die politische Steuerung, die «Regierung» von Gesellschaften im weitesten Sinne etabliert, denn es setzt den europäischen Staat der Moderne nicht so sehr als Normalfall voraus, sondern sieht ihn als eine hochgradig spezifische, historisch kontingente Sonderform. So lassen sich auch vorstaatliche Politikmuster Europas wie das Wanderkönigtum des frühen und hohen Mittelalters als Formen von Governance begreifen, ebenso wie die nichtstaatliche Steuerung in der Clangesellschaft Afghanistans.
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