Was ist Demokratie
Mitbürgern in den Südstaaten bis in die 1960er Jahre. Die Todesstrafe exekutiert bis heute radikale staatliche Gewaltsamkeit und wird von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert. Ob solche Kultur innerer Gewalt sogar demokratisch eingefärbt ist, ist schwer zu sagen. Jedenfalls wurde sie zum Teil, wie die Lynchjustiz, gemeinschaftlich getragen; und auch dem Pathos der Freiheit begegnet man immer wieder. In der Wirklichkeit schlieÃen sich Demokratie und Gewalt jedenfalls nicht aus.
Aber das ist die Spannunglinie: Das Ideal der Demokratie grenzt sich im neueren Verständnis noch prinzipieller von der Gewalt ab als früher und verbindet sich oft unauflöslich mit dem Ideal einer friedvollen Gesellschaft. Beim Verhältnis von Demokratie und Frieden geht es nichtmehr nur um friedliche Zustände zwischen Staaten, um die Abwesenheit von Krieg zwischen Demokratien. Der Friedensnobelpreis wird immer öfter nicht an Staatsmänner vergeben, die Kriege beendet oder Abrüstung vorangetrieben haben, sondern als ein Preis der globalen Demokratieförderung an zivilgesellschaftliche Akteure verliehen wie zuletzt im Oktober 2011. Demokratie ruht in Menschenrechten, und sie beginnt fundamental in der Achtung der physischen Unverletztheit jedes einzelnen Menschen, im Schutz seiner körperlichen Integrität vor Gewalt. Gewalt als die Zufügung von Schmerzen, von körperlichen und seelischen Verletzungen bis hin zum Tod ist â so hat John Keane geschrieben â der gröÃte Feind der Demokratie.
4 Der Staat als Helfer und Hindernis
«That government is best which governs least»: Dieses Plädoyer für eine Regierung, die möglichst wenig regiert, würde heute wohl am ehesten als neoliberales Plädoyer für einen schwachen Staat verstanden (und kritisiert) werden. Andere denken dabei an amerikanische Aufklärer und Revolutionäre des späten 18. Jahrhunderts wie Thomas Jefferson oder Thomas Paine. Das Diktum findet sich jedoch zu Beginn eines Essays von Henry David Thoreau aus dem Jahre 1849. Thoreau träumte von einem naturnahen Individualismus und romantischer Solidarität unter den Menschen; sein eigenes einfaches Leben führte er in einer Hütte im Wald in der Nähe von Boston. Der Essay handelt vom zivilen Ungehorsam und hat gewaltfreien Widerstand von Gandhi bis Martin Luther King beeinflusst.
Gefährdet also ein starker Staat die Demokratie, oder ist er ihre unverzichtbare Stütze, vor allem die Stütze der Schwächeren? Diese Frage eröffnet ein kompliziertes Spannungsfeld historischer Wirklichkeiten ebenso wie von Deutungen, Ãngsten und Hoffnungen. Dabei lassen sich klare ideologische Lager bis heute kaum abgrenzen, denn neben einer linken Linie der Staatskritik steht eine des linken Staatsvertrauens und Etatismus; neben der konservativen Wertschätzung der ordnungsstiftenden und überparteilichen Obrigkeit eine Linie der Staatsskepsis, die spätestens mit Edmund Burkes Reaktion auf die Französische Revolution beginnt. Lange Zeit überwog aber doch die Distanz, wenn nicht gar Gegnerschaft zwischen Demokratie und dem modernen Staat. Republikanische Bestrebungen in der Frühen Neuzeit, von der Schweizüber die Niederlande bis nach Nordamerika, waren immer auch der Versuch, sich der Staatsbildung und Staatsverdichtung zu entziehen; zuerst im Namen lokaler Autonomie oder ständischer Freiheiten; seit dem mittleren 18. Jahrhundert dann auch im Namen individueller Freiheit und Partizipation. In den USA prägt diese liberal-individualistische Staats- bzw. Regierungsskepsis die politische Kultur bis heute ganz entscheidend, und im Prinzip â nicht in einer radikalisierten Variante âauch überparteilich.
Im kontinentalen Europa verfestigte sich dagegen ein Bündnis von Monarchie und starkem Staat. Deshalb etablierte sich die kräftigste Strömung der Staatsskepsis auf der Linken, zumal in der marxistischen Sicht einer unauflöslichen Verbindung zwischen Kapitalismus und bürgerlichem Staat. Aber dahinter stand nicht nur die Politische Ãkonomie, wie sie in Theorien des «Staatsmonopolistischen Kapitalismus» (Stamokap) bis in das späte 20. Jahrhundert einflussreich blieb. Gleichwertig war der romantisch-libertäre Impuls einer vollständigen Emanzipation des Individuums als Ausgang aus jeder Form von Herrschaftsverhältnis überhaupt. Diese Linie führt von
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