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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Frühsozialisten wie Saint-Simon und dem jungen Marx über den Anarchismus des späten 19. Jahrhunderts bis zu den sozialen Experimenten von «Aussteigern» und Kommunen, von denen Thoreau gar nicht weit entfernt war. Über die zukünftige kommunistische Gesellschaft äußerten sich Marx und Engels höchstens in Andeutungen, aber ihre Prognose vom «Absterben des Staates» spornte viele an, die den (vordemokratischen) Staat auch in ihrem eigenen Leben als große Maschine der Kontrolle und Unterdrückung erfuhren. Eine politische Ordnung der Zukunft, die nur den Bedürfnissen der Menschen diente und nicht ihre Freiheit einschränkte, würde demnach nur noch als Verwaltung von Sachen, nicht mehr als Herrschaft über Personen existieren.
    Andere jedoch standen, auch auf der politischen Linken, dem Staat freundlicher gegenüber, in Deutschland zum Beispiel Ferdinand Lassalle. Überhaupt entwickelte die deutsche Sozialdemokratie trotz ihres lange dominierenden Marxismus zugleich einen etatistischen Grundzug, der in ihrer Rolle als Staatspartei in der Weimarer Republik kulminierte. Jetzt ging es an den Ausbau der Staatsaufgaben, an die Erweiterung des Sozial- und Interventionsstaates als Kernaufgabe einer sozialen Demokratie, vom Wohnungsbau bis zur Gesundheitsfürsorge. Zugleich war das schon Teil eines viel größeren Pendelschwungs zum aktiven und expandierenden Staat, der in den westlichen Ländern die mittlerenJahrzehnte des 20. Jahrhunderts prägte: von der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre und den politischen Reaktionen auf sie bis in die Krise der 70er Jahre. In dieser Ära des Keynesianismus näherten sich der nationale Staat und die staatlich verfasste Demokratie so eng an wie kaum je zuvor oder danach, mit einem Höhepunkt in der nordamerikanisch-westeuropäischen Nachkriegszeit zwischen 1945 und 1975. Das «goldene Zeitalter» (Hobsbawm) der westlichen Prosperität war auch eines der demokratischen Staatlichkeit und der verstaatlichten Demokratie. Diese liberal-sozialdemokratische Synthese gab wiederum Konservativen zu denken und ließ sie, gerade in Deutschland, ein Stück von ihrer traditionellen Hochschätzung des (Ordnungs-)Staates abrücken. Der Staatsrechtler Ernst Forsthoff, ein Schüler Carl Schmitts, sah den Ehrfurcht gebietenden Leviathan zur «Milchkuh» schrumpfen, welche die Bürger bis zu deren Unmündigkeit nährte und versorgte.
    Darin setzte sich zugleich eine lange Tradition fort: die Schwierigkeit der deutschen Staatstheorie nämlich, ein positives und unverkrampftes Verhältnis zur Demokratie zu finden, mehr noch: sie überhaupt in ihren Entwürfen eines Staates zu berücksichtigen. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel trennte zwischen einem Staat, der durch die Bürokratie als «allgemeinen Stand» das Gemeinwohl verwaltete, und einer eher unpolitischen bürgerlichen Gesellschaft als «System der Bedürfnisse». Das wirkte seit dem frühen 19. Jahrhundert lange nach, besonders im konservativen Denken, bis in die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik. Auf der Linken blieb die Demokratie geradezu eine Leerstelle in der Theorie von Marx und Engels – mit ähnlicher Wirkungsdauer, indem noch der Neomarxismus und die «Neue Linke» der 1960er und 70er Jahre die liberale Demokratie zuerst als Staat des Kapitalismus definierten. Selbst in der politischen Theorie und Herrschaftssoziologie Max Webers, also der liberalen Mitte, taucht die demokratische Staatlichkeit nur am Rande auf, als eine im Grunde prekäre Variante «rationaler» und «bürokratischer» Herrschaft einerseits, von charismatischer Herrschaft, «Führerauslese» und demagogischer Massenpolitik andererseits. Erst nach 1945 verwandelte sich, unter anglo-amerikanischem Einfluss, die wuchtige und demokratiescheue Staatstheorie in eine flexible und pragmatische «Regierungslehre», die zentral von demokratischen Institutionen handelte. Dazu passten das abgespeckte Staatsbewusstsein der Bundesrepublik und ihre verschachtelte föderale Verfassungsstruktur, die den amerikanischen Politikwissenschaftler Peter J.Katzenstein von einem «halb-souveränen Staat»sprechen ließ. Und das war nicht unfreundlich gemeint: Staatliche Souveränität überdehnte sich nicht mehr auf Kosten der Demokratie.
    Dabei lassen sich durchaus zentrale Bausteine der Staatlichkeit benennen,

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