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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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man Staaten benennen, die keine Diktaturen mehr sind, aber den westlichen Standards von Demokratie noch nicht entsprechen? Dafür hat sich, einem Vorschlag von Wolfgang Merkel folgend, der Begriff der «defekten Demokratie» etabliert. Man könnte auch von einer Demokratie mit Defiziten sprechen. Nicht alle Kriterien der Demokratie sind erfüllt, aber diese Kriterien bilden doch den Maßstab der Bewertung. Sonst würde man vielleicht von einer «liberalen Autokratie» sprechen, was man bei etlichen Übergangsregimen tatsächlich ebenso gut tun könnte.
    In der «defekten Demokratie» schwingt also etwas vom normativen Ideal der Demokratie mit und von der Vorstellung einer Dynamik in diese Richtung. Die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Transformation zur Demokratie kann auch die Richtung wechseln, oder die Verhältnisse einer «defekten Demokratie» erweisen sich nicht als Übergang, sondern als relativ stabiler Dauerzustand eines Landes. Dabei liegen die Defekte oder Defizite im Vergleich zur liberalen Demokratie an verschiedenen Stellen. Manchmal fehlt der Kern einer «elektoralen» Demokratie, nämlich ein freies und gleiches Wahlsystem, das alle Bürgerinnen und Bürger in die politische Willensbildung einschließt. Das war im 19. Jahrhundert der klassische Defekt Europas mit seinem Zensuswahlrecht und dem Ausschluss der Frauen; heute spielt es eine geringere Rolle. Man spricht dann von einer «exklusiven» Demokratie. Häufiger sind Wahlrecht und Parlament fest etabliert, oft gibt es aucheine vom Parlament abhängige Exekutive oder sogar einen vom Volk direkt gewählten Präsidenten. Aber es mangelt an der Kontrolle dieser beiden Gewalten durch unabhängige Gerichte als dritte Gewalt, und darüber hinaus an der Durchsetzung bürgerlicher Grund- und Freiheitsrechte. Die Rechtsstaatsdimension ist also beschädigt, was sich häufig in einer unfreien oder verkümmerten Zivilgesellschaft ausdrückt. Dieser Typus der «illiberalen Demokratie» tritt während der letzten zwei bis drei Jahrzehnte am häufigsten auf. Seltener sind wiederum «delegative» Demokratien, in denen eine starke Regierung oder ein charismatischer Präsident das Parlament und überhaupt die Gewaltenteilung an den Rand drängt. Darunter leidet oft auch der Rechtsstaat – insofern sind Mischformen möglich oder die Kumulation mehrerer Defekte. Ein vierter Typus ist die «Enklavendemokratie», bei der die Reichweite der – an sich möglicherweise einwandfreien – demokratischen Institutionen beschränkt ist, weil das Militär, Großgrundbesitzer, multinationale Konzerne oder andere «Vetospieler» größere Machtreservate de facto für sich beanspruchen und den effektiven Wirkungskreis der Demokratie damit, wie in einer Enklave, geradezu einmauern. Dieses Muster war lange Zeit besonders typisch für Lateinamerika, wo die liberale Demokratie der USA solche Regime häufig mindestens informell stützte. «Liberale» und «defekte» Demokratien können also auf komplizierte Weise miteinander verflochten sein.
    Wenn eine vollständige Demokratie durch wesentlich mehr definiert ist als durch freie Wahlen und Parlament, dann erinnert der Blick auf die defekten Varianten zugleich an die komplexen Elemente und Voraussetzungen von Demokratie überhaupt. Dafür ist der Ausdruck «eingebettete Demokratie» vorgeschlagen worden. Er bezieht sich aber nicht nur auf eine äußere Rahmung demokratisch-staatlicher Institutionen, etwa durch Akteure der Zivilgesellschaft wie Interessenverbände oder Bürgerinitiativen, oder durch eine politische Kultur der Demokratie im Sinne breit verankerter demokratischer Überzeugungen oder Verhaltensformen der Egalität und Toleranz. Das alles kann man sich als äußere Schichten einer Zwiebel vorstellen. In ihrem Innern liegen die institutionellen Komponenten, fünf «Teilregime» der Demokratie: Ganz im Kern das Wahlregime, darum herum die politischen Freiheiten (Partizipationsrechte) und die bürgerlichen Freiheitsrechte, sowie die Sicherung der horizontalen Gewaltenkontrolle und schließlich die Effektivität der demokratischen Regierungsgewalt, damit Demokratie nicht nur eine Spielwiese ohne Wirksamkeit in der Gesellschaft bleibt. Sicher könnteman sich auch andere Einteilungen vorstellen. Entscheidend ist: Das Konzept der eingebetteten

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