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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Städte, Gemeinden, Republiken:
Anfänge der Demokratie seit dem Spätmittelalter
    Von Demokratie wurde im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wenig gesprochen, und vor dem 18.Jahrhundert diente der Begriff nur sehr selten dazu, konkrete Staaten oder Herrschaftsordnungen zu beschreiben. Martin Luther unterschied in seinen «Tischreden» im Jahre1539 die verschiedenen Verfassungsformen, wie sie aus der antiken Tradition bekannt waren, und nannte dafür jeweils Beispiele: etwa England und Frankreich für die Monarchie, Deutschland für die Aristokratie, die Stadt Erfurt für eine Oligarchie – und die Schweiz sowie das norddeutsche Dithmarschen für die Demokratie, wo «viele regieren». Außerhalb solcher bäuerlich-genossenschaftlich organisierter Gebiete standen der Praxis von Demokratie hohe Hindernisse entgegen, von der Feudalgesellschaft bis zur absoluten Monarchie. Dennoch ist die Frage nach vormodernen europäischen Wurzeln der Demokratie berechtigt. Sie wurde seit dem 19.Jahrhundert auch häufig gestellt – und im emphatischen Überschwang der liberal-demokratischen Bewegung dieser Zeit öfters allzu optimistisch beantwortet. Denn zur Rechtfertigung der eigenen Ziele wollte man sich gerne auf historische Kontinuität berufen, etwa auf die Demokratie, die es vermeintlich schon in mittelalterlichen Städten gegeben habe. Aus heutiger Sicht fällt das Urteil skeptischer aus. Aber die «Erfindung» der modernen Demokratie seit dem späten 18., vor allem dann im 19.Jahrhundert schnitt nicht alle Verbindungen in die Vergangenheit ab, sondern profitierte von manchen Ansätzen und Frühformen der Selbstregierung, auch wenn diese von den Zeitgenossen noch nicht als Demokratie verstanden wurden. Geläufiger war ihnen der Begriff der Republik, doch auch in diesem gehen nicht alle vormodernen Formen der politischen Mitbestimmung und freiheitlichen Verfassung auf.
    In jedem Fall stößt man dabei kaum auf größere Flächenstaaten, auf souveräne Territorialstaaten, sondern eher auf kleinere Gebilde: auf Städte und Gemeinden, auf Landschaften und Regionen, die sich innerhalb eines größeren, feudal oder monarchisch verfassten Verbundes Freiräume der Selbstbestimmung eroberten. Am auffälligsten ist das in den europäischen Städten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Sie verfügten über wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen politischer Entwicklung, die der ländlichen Gesellschaft fehlten. Gewerbe, Handel und Verkehr spielten eine wichtige Rolle in der städtischen Ökonomie. Das begünstigte, zumal in den größeren Städten, die Zentren des Fernhandels waren, Wohlstand und Weltoffenheit. Handwerker und Kaufleute organisierten sich in Zünften und Gilden – das waren keine modernen Vereine oder Interessenverbände, sondern korporative Vereinigungen im Sinne der ständischen Gesellschaft, die aber doch über ein hohes Maß an Selbstregulierung verfügten. Sie repräsentierten ein städtisches Bürgertum im sozialen Sinne einer nichtbäuerlichen, selbstständig gewerblich wirtschaftenden und kommerziell tätigen Schicht.
    Sie konstituierten zugleich das Bürgertum als einen Rechtsverband derjenigen, die über das städtische Bürgerrecht verfügten und damit bestimmte Privilegien der Lebensweise und sozialen Versorgung, aber auch der politischen Mitsprache in Anspruch nehmen konnten. In der Redewendung «Stadtluft macht frei» schwingt bis heute der Unterschied zwischen der ländlichen Gesellschaft mit ihrem Geflecht feudaler Abhängigkeiten und der Stadt als dem Ort einer größeren Unabhängigkeit – von Individualität sollte man noch nicht sprechen – und bürgerlicher Freiheiten mit. Gerade in Zeiten sehr beschränkter Kommunikations- und Verkehrsmittel war die dichte Besiedlung der Stadt ein ganz wesentlicher Vorzug für die politische Vergemeinschaftung und Mitsprache. Man konnte sich auf dem Marktplatz, in den Geschäften, in Gasthäusern, vor allem aber auf dem Rathaus treffen, gemeinsam beraten und entscheiden, ohne sich durch mühselige Reisen für lange Zeit von Familie und Broterwerb zu entfernen. Insofern knüpften die Städte seit dem Spätmittelalter durchaus an die griechischen Poleis wie Athen an.
    Aber sie waren von der politischen Verfassung Athens doch weit entfernt. Das Bürgerrecht

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