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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Mittelmeers. Ungleich wichtiger ist das Eigengewicht der historischen Traditionsbildung. Die Griechen entdeckten die Demokratie so, wie Kolumbus Amerika «entdeckte», hat Moses Finley sehr klug gemeint: Längst waren Ureinwohner dort, auch Wikinger von Europa aus gelandet. Aber von Kolumbus ging die welthistorische Wirkung aus; auf ihn berief man sich, an ihm reibt man sich heute. Eine scharfe Grenze zwischen antiker Realität und moderner Erinnerungskultur lässt sich kaum ziehen. Die athenische Demokratie ist wichtig, weil sie uns als Spiegel dient.
5 Feudalismus und Monarchie:
Die europäische Vormoderne
    Die alten Griechen haben die Demokratie erfunden, vor gut 200 Jahren wurde sie endlich wiederentdeckt – warum nur konnte sie sich in der langen Zwischenzeit nicht halten, die wir aus europäischer Sicht als Zeit des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bezeichnen? Diese Frage ist im Grunde falsch gestellt, denn sie geht von einer Kontinuität aus, die es «eigentlich» hätte geben müssen und aufgrund widriger Umstände unterbrochen war. Sie unterstellt auch, dass die Demokratie eine Art Normalfall sei. Tatsächlich aber ist sie eine sehr unwahrscheinliche Form der Herrschaft und der Organisation von Gesellschaften, für deren Zustandekommen viele Bedingungen erfüllt sein müssen. In den gut tausend Jahren der vormodernen europäischen Geschichte zwischen Frankenreich und Französischer Revolution stand Demokratie nur selten, und erst spät, überhaupt zur Debatte. Soweit das Wort, der Begriff Demokratie aus der Aristotelesrezeption seit dem 13. Jahrhundert bekannt war, wurde er kaum auf konkrete Formen der politischen Verfassung angewendet, geschweige denn als eine Zielprojektion für eine zukünftig bessere Verfassung, für eine freie und selbstbestimmte Ordnung verwendet. Demokratie war nichts Gutes, nichts Erstrebenswertes – ein «Paria-Wort».
    Dennoch lassen sich wichtige Gründe nennen, warum das europäische Mittelalter und die Frühe Neuzeit (die drei Jahrhunderte seit etwa 1500) sich Demokratie nicht vorstellen konnten und – wichtiger noch – warum Demokratie mit den sozialen und politischen Strukturen dieser Epoche nicht kompatibel war. Der wichtigste Schlüssel sind Feudalismus und Ständegesellschaft: eine spezifisch europäische Form der Organisation agrarisch geprägter Gesellschaften, bei der Rechtsordnung und soziale Ungleichheit, Wirtschaft und politische Verfassung eng ineinander verwoben waren. In ihr waren die Menschen, in der Regel schon durch ihre Geburt bzw. soziale Herkunft, einem bestimmten «Stand» zugeordnet, aus dem sich ihre Funktion für das Ganze ableitete und der sie in Abhängigkeit von anderen Ständen stellte. Anders als die Antike kannte der Feudalismus keine Sklaverei, sondern verschiedene Formen der persönlichen Abhängigkeit und Unfreiheit bis hinunter zu Varianten der Leibeigenschaft. Umgekehrt existierte in diesem vielfältig gestuften System aber auch keine Vorstellung voneiner einheitlichen Bürgerschaft (wie der Athens), der alle freien Männer, die nicht Sklaven oder Fremde waren, unabhängig von Besitz oder Beruf angehörten. Ursprünglich beruhte die Ständegesellschaft auf einem einfachen Dreierschema: Adel, Klerus und Bauern, die jeweils eine besondere Aufgabe erfüllten: Sie herrschten, beteten und arbeiteten. Mit der Entstehung von Städten und ihrem wirtschaftlichen Aufstieg im Spätmittelalter kamen die Stadtbürger hinzu und wurden seitdem – bis in das 19. Jahrhundert hinein – als der «dritte Stand» bezeichnet. Innerhalb der Städte entwickelten sie neue Formen der Bürgerfreiheit, ja der republikanischen Verfassung, aber jenseits der Stadtmauern galten die feudalen Abhängigkeitsverhältnisse.
    Sie gründeten nicht nur in der Ungleichheit der Stände oder ihren verschiedenen Funktionen, sondern im rechtlichen und ökonomischen Kern des Feudalismus, der Beziehung zwischen Lehnsherr und Vasall. Der Erste, meist ein Adliger, gab Schutz und stellte Land zur Verfügung; der Zweite war zur Treue verpflichtet – und wirtschaftlich gesehen, zu Diensten oder Abgaben. Dieses Verhältnis war wesentlich schärfer ausgeprägt als die Patron-Klient-Beziehung in der antiken römischen Gesellschaft; sowohl in ihrer rechtlichen Bindungswirkung als auch in ihren ökonomischen Konsequenzen. Freies

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