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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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unterschied sich erheblich; es gründete in den mittelalterlichen Städten auf korporativer Zugehörigkeit und konnte zudem vielfach abgestuft sein; damit fehlte auch ein Verständnis von der Gleichheit der Bürger im Sinne der griechischen Isonomie. Freiheit war wichtiger als Gleichheit, und durchaus entwickelte sich ein Verständnis von bürgerlicher Freiheit im Singular, als abstrakter Begriff für die besondere Rechtsstellung und freiere politische Kultur in der Stadt. Aber diese Freiheit war nie absolut oder individualistisch, und letztlich beruhte sie auf einer Vielzahl von korporativen Rechten, die zum Beispiel der Landesherr oder der Kaiser oder der Erzbischof als geistlicher Herr gewährt hatte. Überhaupt konnten die Freiheitsgrade sehr unterschiedlich ausfallen, nach außen wie im Innern. Auch wenn Städte fast immer, von ganz kleinen Ackerbürger- oder Landstädten abgesehen, einen Vorsprung vor der umgebenden ländlichen Gesellschaft besaßen, reichte das Spektrum von der stolzen Souveränität zeitweise mächtiger italienischer Stadtrepubliken wie Florenz, Siena oder Venedig über die freien Reichsstädte im Heiligen Römischen Reich, die nur dem Kaiser unterstanden, bis hinunter zu landesherrlichen Städten, die häufig in der Frühen Neuzeit, im Zuge des Ausbaus des Absolutismus,einen erheblichen Teil ihrer vormaligen Eigenständigkeit einbüßten.
    Die innere Verfassung der Städte lässt sich als eine Herrschaftsordnung ebenso wie eine Freiheitsordnung verstehen; man hat gesagt, dass die mittelalterliche Stadt keine Ausnahme vom europäischen Feudalismus bildete, sondern Teil und «Sonderform» des Feudalismus blieb. Die Bürgerschaft hatte keineswegs gleichen Anteil an der Bestimmung der Stadtregierung; oft bestimmte eine relativ kleine und geschlossene Oberschicht – häufig als «Patriziat» bezeichnet – die Geschicke der Stadt. Darauf zielt auch der schon von den Zeitgenossen – wie das Beispiel Luthers zeigt – gerne verwendete Begriff der «Oligarchie»: die Herrschaft einer exklusiven Elite. Im Einzelnen waren es meist komplizierte Mischungsverhältnisse aus Freiheit, Herrschaft und Konsens, zwischen denen sich das Stadtregiment bewegte. Auch wenn nicht alle Bürger unmittelbaren Anteil hatten, indem ihnen etwa der Zugang zum Rat verwehrt blieb, bildete doch der Konsens von regierenden und beherrschten Bürgern eine wichtige Grundlage der städtischen Verfassung. Die Vorstellung von einem städtischen «Gemeinwohl» war mehr als Ideologie; sie stützte sich auch außerhalb der eigentlichen Politik auf ein Geflecht von Institutionen und Ritualen, dem eine neue Kulturgeschichte der Politik in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit gewidmet hat.
    Gleichwohl – im Zentrum der Bürgerfreiheit stand durchaus die politische Selbstregierung der Bürger, die Ausübung von Wahlämtern, die Mitwirkung in den städtischen Verfassungsorganen wie vor allem dem Rat, neben dem häufig noch ein größeres, weniger exklusives Gremium stand, oft «Großer Rat» oder «Bürgerausschuss» genannt. Dabei von Exekutive und Legislative, von Regierung und Parlament der Stadt zu sprechen wäre jedoch ein modernes Missverständnis. In Florenz bildete die «Signoria» die politische Leitung der Stadt, ergänzt durch einen Großen Rat. Die wichtigsten politischen Ämter wurden hier im 15. Jahrhundert, einer Blütezeit der freien Stadtregierung, durch eine Mischung aus Wahl- und Losverfahren besetzt. Zunächst konnten wahlfähige Bürger für Ämter nominiert werden; wer bei der Abstimmung eine Zweidrittelmehrheit erhielt, dessen Name kam in einen Losbeutel, eine Art «Pool», aus dem in den folgenden Jahren immer wieder die tatsächlichen Amtsträger gezogen wurden. Das aktive Wahlrecht besaßen nur wenige, nämlich die Mitglieder eines exklusiven Wahlmännergremiums; Hoffnung auf ein Amt aber konnte sich ein erheblich größererAnteil der Bürger machen. Öfters jedoch war es, so auch in großen deutschen Städten wie Köln, umgekehrt: Die in Zünften organisierten Bürger, insgesamt eine kleine Minderheit der Bevölkerung, hatten durch die «Gaffeln» – in Köln Verbände mehrerer Zünfte oder Gilden mit vielfältigen politischen und sozialen Aufgaben – an der Wahl des Rates Anteil. Doch der

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