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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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politische Ordnung unantastbar, entzog sie jener menschlichen Verfügbarkeit, welche die Athener gekannt hatten.
    In der Frühen Neuzeit wurde die Monarchie in Kontinentaleuropa zum Kristallisationskern des frühmodernen Staates. Dieser Prozess der Staatsbildung, der im Absolutismus seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte, steht in einem ambivalenten Verhältnis zur Geschichte der Demokratie. In ganz langer Perspektive leistete er ihr Vorarbeit: durch die Zentralisierung von Herrschaft gegen die Vielfalt ständischer oder auch kirchlicher Konkurrenten; oder durch den Versuch, aus der Feudalgesellschaft einen einheitlichen Verband von «Untertanen» zu machen, die dann später zu gleichen Staatsbürgern umdefiniert werden konnten. Auch übernahm der frühmoderne Staat in der Sorge und Disziplinierung seiner Untertanen Aufgaben, die viel später zum Markenzeichen von Demokratien wurden – so liegt ein Ursprung des modernen Sozialstaates in der sozialen Fürsorge und «guten Policey» des Absolutismus. Aber eine Vorstufe zur Demokratie war der aufsteigende Territorialstaat mit seinen frühen bürokratischen Apparaturen deshalb noch lange nicht. Er drängte ältere Formen der ständischen Mitsprache an den Rand; in Italien war der Fürstenstaat der Feind der Stadtrepubliken, und bürgerliche (oder auch: adlige, bäuerliche) Partizipation florierte am meisten dort, wo sich ein «starker Staat» nicht durchsetzen konnte: in Polen oder den Niederlanden, in der Schweiz oder in England.
    Thomas Hobbes nannte seine Rechtfertigung des absoluten Staates als Bezwinger des «Kriegs aller gegen alle» nicht zufällig «Leviathan»: Das Ungeheuer aus biblischer Überlieferung stand für eine unbezwingbare Macht, die sich alles unterwerfen konnte, was ihr in den Weg kam. «Legibus absolutus», losgelöst von den Gesetzen: Aus dieser Formel, die freilich nie der Realität entsprach, entstand der Begriff des Absolutismus. Während Ludwig XIV. meinte, selber der Staat zu sein, hoben Aufklärer des 18. Jahrhunderts wie Montesquieu oder John Adams hervor, der freie Staat oder die Republik sei die Herrschaft durch Gesetze, nicht durch Menschen. Liberale Freiheitskonzepte und demokratische Partizipationsansprüche wurden seit dem 17. Jahrhundert ganz überwiegend gegen den Staat geltend gemacht. In England und denUSA fehlt die kontinentaleuropäische Vorstellung vom Staat weithin bis heute; die vom Volk ausgeübte Regierung ist «government».
    Schließlich fehlten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit auch die kulturellen und mentalen Grundlagen, auf denen die institutionelle Ordnung der Demokratie danach ruhte. Herrschaft und Politik waren im Alltag der meisten Menschen gleichermaßen weit entfernt wie unauflöslich in die eigene Existenz, in Rechtsstellung und materielle Verhältnisse verwoben. Seit dem 16.Jahrhundert ermöglichte der Buchdruck eine Leserevolution, die spätestens im 18. Jahrhundert auch die unteren Schichten erfasste, aber eine breite Politisierung der Bevölkerung steckte dann trotzdem erst in den Kinderschuhen. Bis in die Aufklärung blieben die politischen Debatten weithin in Sonderkulturen von Gebildeten, von Intellektuellen und staatlichen oder kirchlichen Funktionsträgern, eingekapselt. Die hergebrachte Ordnung der Dinge galt als natürliche, als gottgewollte Ordnung. Sie nach menschlichem Ermessen und abstrakten Maßstäben von Fortschritt, Freiheit oder Gleichheit umzugestalten, lag noch außerhalb der Vorstellungskraft. Diese Ordnung konnte wohl aus dem Gleichgewicht geraten, sie konnte durch Übergriffe, durch einen Bruch mit der Tradition verletzt werden. Dann kämpfte man jedoch nicht für eine ganz neue Verfassung, geschweige denn eine neue «Gesellschaftsordnung», sondern für eine Wiederherstellung verletzten Rechts und verletzter Ehre. Auch darin konnte freilich ein Zündfunken der Demokratie liegen. Denn noch die Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts in Amerika und Frankreich begannen mit diesem Blick in die Vergangenheit: in dem Gefühl, verletztes Recht und eingeschränkte Freiheiten wiederherstellen zu sollen. Die Stände wandten sich gegen ihre Ausschaltung durch die Monarchie, die Siedler gegen ein Empire, das die Machtschrauben plötzlich anzog. Ohne es zu wissen, sprengten sie damit die Grenzen der vormodernen Welt.
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