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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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durchschnittliche Handwerksmeister besaß kaum eine Chance, in dieses exklusive Gremium hineingewählt zu werden; der Rat blieb ein Reservat der Eliten.
    Dennoch darf man die Bedeutung solcher Wahlen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten nicht unterschätzen. In ihnen kam das Freiheitsbewusstsein der Bürgerschaft zum Ausdruck, aber es definierte sich nicht durch die Möglichkeit zur Kandidatenauswahl, durch Pluralismus und Konkurrenz wie in der modernen Demokratie. Vielmehr ging es um die Herstellung von Konsens, genauer: um die Bestätigung der Legitimität politischer Herrschaft durch konsensuelle Teilhabe der Bürger. Symbole, Rituale oder zeremonielle Verfahren – Festmähler, Eidleistungen, Prozessionen und vieles mehr – waren nicht eine bloß äußerliche Zugabe zu den Wahlen und anderen Formen der vormodernen Entscheidungsfindung. Sie bildeten einen integralen Bestandteil dieses älteren Verständnisses von Politik. Nicht Individuen und Institutionen standen in ihrem Zentrum, sondern Korporationen (wie die Zünfte in einer Stadt oder Adelsverbände in einem größeren Territorium) und Rituale. Das unterstreicht noch einmal, wie kompliziert die Frage nach frühen Formen der Demokratie angesichts ganz unterschiedlicher sozialer und rechtlicher Bedingungen, und nicht zuletzt kultureller Koordinaten der Lebensführung, ist.
    Nicht nur in den dicht besiedelten, bürgerlich-gewerblichen Städten entstanden seit dem Spätmittelalter Freiräume der Autonomie und Selbstregierung. Auch auf dem Lande konnten die Gemeinden zur selben Zeit, seit dem 14. Jahrhundert, teilweise ein größeres Maß an Unabhängigkeit gegenüber der feudalen Oberhoheit gewinnen. Sie bildeten Ämter und Institutionen aus, in denen die politisch Berechtigten – in der Regel die vermögenderen Bauern mit eigenem Landbesitz – ihre Angelegenheiten relativ frei und egalitär regeln konnten: in Gemeindeversammlungen, durch die Wahl des Dorfbürgermeisters oder in eigenen Gerichten, die von Landesherrn, Adel oder Kirche unabhängig waren. Besonders im damaligen oberdeutschen Raum, das heißt in Süddeutschland einschließlich weiter Teile der deutschsprachigen Alpen, also Österreichs und der Schweiz, emanzipierten sich die Gemeinden auf dieseWeise von Feudalismus und Territorialherrschaft. Im Mittelpunkt stand der «Gemeine Mann», wie der ländliche Durchschnittsbürger von damals in den Quellen genannt wurde. Der Historiker Peter Blickle hat diese landgemeindliche Freiheitstradition, der früher wenig Beachtung galt, vor einigen Jahrzehnten dezidiert hervorgehoben und mit dem Begriff des «Kommunalismus» charakterisiert. Er bezeichnet eine vormoderne Verfassung und Gesellschaftsform, in der die selbstgewählten Organe der ländlichen Gemeinden ein großes Maß an Zuständigkeiten an sich ziehen konnten, also Autonomie in partizipativen Verfahren verwirklichten. Das konnte am ehesten dort gelingen, wo der Adel vergleichsweise schwach war und wo die frühmoderne Staatsbildung nicht so schnell und effektiv hinreichte wie in Frankreich oder in Preußen seit dem 17. Jahrhundert.
    Wo sich einzelne Inseln gemeindlicher Autonomie zu einer größeren Landschaft der politischen Selbstbestimmung verbanden, entstanden – wie in der Schweiz – frühe Formen von Republiken. Unter einer Republik verstanden die Zeitgenossen in der Frühen Neuzeit aber jede Ordnung, die sich fürstlicher und feudaler Oberhoheit entledigt hatte und in der ein Gemeinwesen sich stattdessen selbst regierte. Das musste keine Stadt- oder Landgemeinde, sondern konnte auch ein größeres Territorium sein, nach heutigen Begriffen also: ein Flächenstaat. Gleichzeitig war eine solche Republik keine Demokratie (und man benutzte auch diesen Begriff nicht), sondern stützte sich in der Regel auf eine kleine Minderheit politisch berechtigter Personen bzw. auf Korporationen, die durch Angehörige einer schmalen Elite repräsentiert wurden. Deshalb waren Adelsherrschaft und Republik zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert kein Gegensatz. Die Republik Venedig bestand seit dem Mittelalter und fiel erst 1797 dem Machtanspruch Napoleons zum Opfer. Sie war Stadtrepublik und weit ausgreifende Handelsmacht, ja mittelmeerische Kolonialmacht in einem. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde die bisherige Alleinherrschaft

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