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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Eigentum an Land und die Verfügung über Land auf Märkten waren in diesem System nicht vorgesehen. Überhaupt fehlte ein allgemeiner Begriff von Freiheit. In der ständischen Gesellschaft war Freiheit nie abstrakt und ein umfassender Anspruch, sondern immer etwas Konkretes. Man verfügte über verschiedene «Freiheiten» – über erworbene Rechte, etwas zu tun oder zu lassen, aber nicht über Freiheit an sich als persönliche Autonomie oder als Anspruch auf politische Mitwirkung unter Gleichen. In einer solchen Ordnung persönlicher Abhängigkeit war politische Partizipation noch schwerer denkbar als in einer bloß gestuften, ständisch segmentierten Gesellschaft, denn der Einzelne – ohnehin nur das männliche Familienoberhaupt in einer patriarchalischen Welt – war im Prinzip seinem Herrn zugeordnet, statt sich mit seinesgleichen zusammenzuschließen. Im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gewannen die Stände jedoch auch einen solchen «horizontalen» Charakter, sie wurden zu korporativen Verbänden, die auch kollektive politische Interessen vertraten: die Bürger gegenüber dem Adel; oder die «Stände» insgesamt gegenüber der Monarchie.
    Die Grenze zur Demokratie lag dennoch in weiter Ferne, auch weil die praktischen, die kommunikativen Voraussetzungen dafür fehlten.Feudalismus war Herrschaft «über Land und Leute»: eine Organisationsform, welche die Kontrolle über weite ländliche Gebiete mit vergleichsweise dünner Besiedlung ermöglichte. Demokratie aber erforderte im Verständnis der Vormoderne die Mitwirkung der Bürger in Anwesenheit, auf dem Versammlungsplatz – schon im Stadtstaat Athen war das für die außerhalb der eigentlichen Stadt wohnenden Bürger nicht leicht zu leisten. Dennoch bildeten sich die Grundlagen moderner Demokratie noch vor der Erfindung von Eisenbahn oder Telegraphie, von Automobil oder Telefon heraus. Die wichtigere Grenze bildete mithin die Rechtsordnung des Feudalismus selber. Die Abschaffung des Feudalsystems stand insofern nicht zufällig im Zentrum der ersten Phase der Französischen Revolution, und der Angriff zielte nicht nur auf die Ablösung drückender Lasten oder die Durchsetzung marktkapitalistischer Verhältnisse, sondern auch auf individuelle Freiheit als eine Bedingung der Möglichkeit von Demokratie. Umgekehrt besagte eine klassische Theorie der amerikanischen Demokratie nicht zufällig, sie habe dort schon mit den ersten Siedlern in den Kolonien wachsen können, weil das Korsett der Feudalordnung fehlte.
    Fragt man nach der politischen Verfassung im engeren Sinne, stößt man auf das Königtum, auf die Monarchie als eine Konstante der vormodernen europäischen Gesellschaften. Monarchie und Demokratie – das war unter den Bedingungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit nicht miteinander vereinbar, mit der gewissen Ausnahme des englischen Parlaments und seines langsam wachsenden Selbstverständnisses als demokratischer Teil einer gemischten Verfassung. Erst im 19. und 20. Jahrhundert wurden Wege gefunden, beides miteinander kompatibel zu machen, so dass viele europäische Staaten, von Spanien bis Schweden, längst volle Demokratien in monarchischer Staatsform sind. In seinen Ursprüngen war das Königtum in der Feudalgesellschaft verankert, der König also oberster Lehnsherr. In der gedachten Nachfolge des Römischen Reiches wurde es als Kaisertum imperial aufgeladen – und damit auch zusätzlich religiös überhöht, denn bis ins 16. Jahrhundert musste der Kaiser in Italien durch den Papst gekrönt werden und gewährte der römischen Kirche dafür im Gegenzug kaiserlichen Schutz. Mit Recht wird gerne betont, dass die Trennung der weltlichen von der geistlichen Herrschaft, von «regnum» und «sacerdotium», eine besondere Leistung des europäischen Mittelalters darstellt, ohne die auf lange Sicht auch die Demokratie als Herrschaft von Menschenhand schwer vorstellbar ist. Aber zunächst blieb doch entscheidend, dass die Monarchie,sei es als Erbmonarchie oder als Wahlmonarchie (wie im Heiligen Römischen Reich bis zu dessen Ende 1803), unauflöslich mit der christlichen Legitimation von Herrschaft, mit dem Gottesgnadentum, verknüpft blieb. Die Quelle der Souveränität konnte dann nicht beim Volk liegen. Überhaupt machte diese Vorstellung die

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