Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Betrachten wir nun aber das folgende Argument.
Argument 14.
Prämisse 1: Die meisten Universitätsprofessoren waren keine Antisemiten.
Prämisse 2: Paul war Universitätsprofessor.
Konklusion: Paul war wahrscheinlich kein Antisemit.
Nehmen wir an, Prämisse 1 ist, bezogen auf die damaligen Universitätsprofessoren weltweit, wahr. Prämisse 2 ist ebenfalls wahr. (Paul war ein deutscher Universitätsprofessor.) Dann lässt sich, sofern
Argument 13
gültig ist, aus den beiden Prämissen von
Argument 14
zweifellos genauso gültig die Folgerung ziehen, dass Paul wahrscheinlich
kein
Antisemit war. Was also war Paul?
Wir haben hier zwei Argumente mit jeweils wahren Prämissen. Die beiden Konklusionen jedoch widersprechen einander, können also nicht beide wahr sein. Also muss zumindest eines der beiden Argumente ungültig sein. Da beide Argumente jedoch eine identische Struktur haben, muss man sogar zu dem Schluss kommen, dass
beide
Argumente ungültig sind.
Es ist interessant zu sehen, dass wir, was die Schlüssigkeit der beiden Argumente betrifft, zu einem ganz anderen Ergebnis kommen, wenn der unbestimmte Artikel in der jeweiligen Prämisse 1 im Sinn von «alle» verstanden wird, wenn die beiden Argumente also wie folgt lauten.
Argument 15.
Prämisse 1: Alle Deutschen waren Antisemiten.
Prämisse 2: Paul war Deutscher.
Konklusion: Paul war Antisemit.
Argument 16.
Prämisse 1: Alle Universitätsprofessoren waren keine Antisemiten.
Prämisse 2: Paul war Universitätsprofessor.
Konklusion: Paul war kein Antisemit.
Diese beiden Argumente sind zwar beide ohne Zweifel gültig. Trotzdem widersprechen ihre Konklusionen einander und können deshalb nicht beide wahr sein. Wie kommt das? Es kommt daher, dass unmöglich alle vier Prämissen der beiden Argumente wahr sein können: Wenn Paul sowohl Deutscher als auch Universitätsprofessor war, die Prämissen 2 der beiden Argumente also wahr sind, dann
können
nicht die Prämissen 1 der beiden Argumente ebenfalls wahr sein. Denn entweder war Paul Antisemit oder nicht. Im ersten Fall ist Prämisse 1 von
Argument 16
mit Sicherheit falsch, und im zweiten Fall ist Prämisse 1 von
Argument 15
mit Sicherheit falsch. Das bedeutet: Man kann nicht wirklich durch die beiden Argumente, so wie sie lauten, beide Konklusionen als wahr erweisen.
Wie aber können wir nun in den
Argumenten 13
und
14
den Widerspruch der beiden Konklusionen, die Aussagen mit einem Wahrscheinlichkeitswert enthalten, erklären? Hier sind ja, anders als im Fall der
Argumente 15
und
16,
möglicherweise durchaus sämtliche vier Prämissen wahr. Ich möchte diese Frage offenlassen. Vielleicht ist eine Lösung in der Richtung zu suchen, dass die jeweilige Konklusion nur dann im Sinn eines gültigen Arguments aus den Prämissen folgt, wenn sie mit einer Einschänkung (wie etwa «falls keine weiteren relevanten Erkenntnisse vorliegen») verbunden ist.Denn so gesehen, würden ja die Prämissen jedes der beiden Argumente der Konklusion des jeweils anderen Arguments entgegenstehen. Es ließe sich also aus den vier Prämissen der beiden Argumente weder die Konklusion gewinnen, dass Paul wahrscheinlich Antisemit war, noch die Konklusion, dass Paul wahrscheinlich kein Antisemit war.
Es gehört zu den Grundvoraussetzungen logischen Denkens, dass dasselbe Wort in ein und demselben Argument nicht in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden darf. Im Alltag geschieht dies leider immer wieder. So spricht man etwa von einem «unnormalen» Verhalten und versteht darunter zum einen ein Verhalten, wie es der Normalbürger oder Durchschnittsmensch nicht an den Tag legt, und zum anderen ein Verhalten, das man für kritikwürdig oder gar für unmoralisch hält. Es dürfte jedoch keinem Zweifel unterliegen, dass ein Verhalten nicht schon deswegen kritikwürdig oder unmoralisch ist, weil es von den meisten Menschen nicht praktiziert wird: Wer sich in seiner Freizeit ausschließlich mit russischer Musik beschäftigt, verdient aus diesem Grund so wenig Kritik wie jemand, der in einer homosexuellen Beziehung lebt.
Wie steht es um die Möglichkeit, den Glauben an eine Aussage logischer Art als gerechtfertigt bzw. als wahr zu erweisen? Hier spielen sicher sprachliche Kompetenz und Denkvermögen derer, die den jeweiligen Glauben haben bzw. ihn als wahr hinstellen, eine entscheidende Rolle. Zu bedenken ist: Dass eine Wahrheit logisch zwingend und insoweit notwendiger Art ist, heißt keineswegs, dass diese Wahrheit auch problemlos
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