Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Hoerster
Vom Netzwerk:
Gutschrift wieder rückgängig macht.
    Wenn dies richtig ist, dann muss das Wort «oder» hier ganz offenbar in einem
ausschließenden
– die Wahrheit
beider
Teilaussagen ausschließenden – Sinn verstanden werden. Wenn man «oder» aber in diesem ausschließenden Sinn von «entweder-oder» versteht, dann ist damit meine obige Behauptung unvereinbar, dergemäß es in den angeführten Argumenten «für die Wahrheit der Konklusion auf die Wahrheit der zweiten Teilaussage überhaupt nicht ankommt». Denn dann kann die jeweilige Konklusion nur wahr sein, wenn
eine
der beiden Teilaussagen falsch ist. Das aber bedeutet, dass auch in den angeführten Argumenten die
zweite
Teilaussage falsch sein muss, da ja die erste Teilaussage, die Prämisse des Arguments, wahr ist. Die Konklusion «Immanuel Kant war ein Philosoph, oder alle Menschen sind sterblich» wäre demnach falsch, und
Argument 4
wäre ein Fehlschluss. Dies gilt, wie gesagt, wenn man «oder» im Sinn von «entweder-oder» versteht.
    Wir benutzen «oder» in der Umgangssprache
sowohl
in einem ausschließenden
als auch
in einem (die Wahrheit beider Teilaussagen) einschließenden Sinn. Ohne Zweifel im letzteren Sinn wird das Wort etwa benutzt, wenn auf der Parkfläche eines Supermarkts einige Parkplätze den Hinweis tragen «Für Schwerbehinderte oder Frauen mit Kind». Niemand würde hier wohl auf die Idee kommen, einer schwerbehinderten Frau mit Kind das Parkrecht abzusprechen.
    Der Leser mag sich selbst überlegen, in welcher der beiden möglichen Bedeutungen das Wort in der Aussage «ImmanuelKant war ein Philosoph, oder alle Menschen sind sterblich» benutzt wird. Ich könnte mir denken, dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt, da derart merkwürdige Satzverbindungen in der Alltagssprache kaum vorkommen. Logiker gehen deshalb gewöhnlich so vor, dass sie sich für ihre Untersuchungen formaler Art einfach für eine, und zwar für die einschließende Bedeutung von «oder»
entscheiden.
Und gegen diese Entscheidung ist nichts einzuwenden, sofern man sich der Tatsache bewusst bleibt, dass die gewählte Bedeutung keineswegs sämtlichen Verwendungen des Wortes in unserer Umgangssprache Rechnung trägt.
    In der sogenannten mathematischen, symbolischen oder formalen Logik werden gewisse, besonders häufige Aussagen der Umgangssprache – Aussagen, in denen Ausdrücke wie «alle», «einige», «und», «oder», «nicht» vorkommen – durch bestimmte Zeichen oder Symbole wiedergegeben. Das hat zur Folge, dass die aus diesen Aussagen bestehenden Argumente transparenter werden und so viel einfacher auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden können.
    Dass häufig jedoch schon die Umgangssprache, die hier allein zur Debatte steht, völlig ausreicht, um zu wichtigen logischen Erkenntnissen von erheblicher Tragweite zu führen, mögen die beiden folgenden, miteinander in Verbindung stehenden Argumente zeigen.
    Argument 6.
    Prämisse: Immanuel Kant war ein Philosoph.
    Konklusion: Immanuel Kant war ein Philosoph, oder David Hume war ein Komponist.
    Argument 7.
    Prämisse 1: Immanuel Kant war ein Philosoph, oder David Hume war ein Komponist.
    Prämisse 2: Immanuel Kant war kein Philosoph.
    Konklusion: David Hume war ein Komponist.
    Diese Argumente sind beide gültig (und zwar unabhängig davon, ob wir «oder» im ausschließenden oder im einschließenden Sinn verstehen). Dass
Argument 6
gültig sein muss, haben wir – anhand der
Argumente 4
und
5
– schon gesehen. Aber auch dass
Argument 7
gültig ist, ergibt sich aus dem bereits Gesagten: Wenn eine Aussage aus zwei durch «oder» verbundenen Teilaussagen besteht, muss, sofern die gesamte Aussage wahr ist, jedenfalls eine der beiden Teilaussagen ebenfalls wahr sein. Da aber gemäß Prämisse 2 die erste Teilaussage von Prämisse 1 falsch ist, kann die zweite Teilaussage von Prämisse 1 nur wahr sein.
    Aus alledem folgt: Wenn die Prämisse von
Argument 6
wahr ist, muss auch Prämisse 1 von
Argument 7
– als Konlusion von
Argument 6
– wahr sein. Und wenn die beiden Prämissen von
Argument 7
wahr sind, muss auch die Konklusion von
Argument 7
wahr sein. Tatsächlich aber ist die Konklusion von
Argument 7,
wie wir wissen, falsch, und die Erklärung hierfür ist nicht schwer. Denn tatsächlich ist ja auch Prämisse 2 von
Argument 7
falsch, so dass die Gültigkeit des Arguments die Wahrheit der Konklusion nicht garantieren kann.
    Das Besondere hier ist, dass Prämisse 2 von
Argument 7
nicht einfach falsch ist,

Weitere Kostenlose Bücher