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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Hoerster
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Offensichtlich bin ich aufgrund der Mitteilungen zahlreicher Informanten dazu berechtigt, wobei ich diese Mitteilungen sowohl gehört habe (etwa als Schüler im Geographieunterricht oder später im Rundfunk) als auch gelesen habe (etwa in Lehrbüchern, Lexika oder Zeitungen). Wieso aber bin ich berechtigt, diesen Informanten Glauben zu schenken? Dazu bin ich offenbar genau insoweit berechtigt, als diese Informanten zuverlässig, also glaub
würdig
sind. Wenn ein Lexikon etwa über zahlreiche Städte dieser Welt, die ich persönlich kenne, zutreffend berichtet, dann habe ich allen Grund, auch die Mitteilungen des Lexikons über die Stadt Sydney, die ich nicht kenne, für bare Münze zu nehmen. Und auch schon dann habe ich einen hinreichenden Grund, den Mitteilungen des Lexikons Glauben zu schenken, wenn ich zwar noch keine seiner Angaben selbst überprüft habe, wenn das Lexikon jedoch allenthalben als zuverlässig gilt und mir von kenntnisreichen Menschen, die mich in dieser Hinsicht noch nie enttäuscht haben, zur Meinungsbildung empfohlen wurde.
    Ich fordere den Leser auf, sich selbst einmal zu überlegen, ein wie großer Teil seines Wissens keineswegs auf eigenen Wahrnehmungen, sondern auf den Mitteilungen von Informanten beruht. Dabei ist zu bedenken, dass jene Informanten, auf die wir unser Wissen gewöhnlich stützen, häufig ihr Wissen auch ihrerseits wieder anderen Informanten und nicht etwa eigener Wahrnehmung verdanken. So war sicher nicht jeder Geographielehrer, der seinen Schülern sein Wissenüber Australien vermittelt, selbst schon auf diesem Kontinent. Und dasselbe wird sogar auf einige Autoren jener Lexika bzw. Bücher zutreffen, aus denen der Geographielehrer seinerseits sein Wissen geschöpft hat. Das Wissen, das wir besitzen, beruht also zu einem großen Teil nicht auf eigener Wahrnehmung, sondern ist durch Informanten über eine oder mehrere Stufen vermittelt.
    Eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, Wissen auf dem Wege über Informanten zu gewinnen, besteht darin, dass Menschen ein Gedächtnis oder Erinnerungsvermögen besitzen. Denn damit jemand das Wissen, das er hat, weitergeben kann, muss er dieses Wissen, das er gewöhnlich ja nicht im selben Augenblick, in dem er es erlangt, auch weitergibt, in seinem Gedächtnis gespeichert haben und abrufen können. Ja sogar ein großer Teil jenes Wissens, das jemand nicht über Informanten, sondern durch
eigene
Wahrnehmung erlangt hat, beruht ebenfalls auf dem Gedächtnis. Wie könnte ich sonst etwa wissen, dass in meinem Arbeitszimmer nicht nur momentan, sondern schon seit Jahren ein Schreibtisch steht?
    All das ändert jedoch, so scheint es, nichts an der Tatsache, dass die eigentliche und letzte Quelle unseres Wissens über die reale Welt die menschliche Sinneswahrnehmung ist. Selbst wenn ein großer Teil des Wissens, das ich besitze, ohne das menschliche Gedächtnis und ohne die Vermittlung zahlreicher Informanten nicht zustande gekommen wäre: Die Kette aller möglichen Erinnerungen und Informationen kann ihren Ursprung nur in der Sinneswahrnehmung von Menschen haben, die mit der damit gegebenen Erlangung
unmittelbaren
Wissens und seiner Erinnerung und Weitergabedie nachfolgende Verbreitung
mittelbaren
Wissens in Gang gesetzt haben.
    Vielleicht wird mancher Leser an dieser Stelle nochmal auf die folgende Frage zurückkommen: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit wir sagen können, A wisse, dass x zutrifft? Genauer gefragt: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit wir gleichzeitig sagen können,
A
sei gerechtfertigt, an x zu glauben, und
wir
seien gerechtfertigt, x für wahr zu halten? Anders ausgedrückt: Wie verlässlich müssen zum einen jene Wahrnehmungen sein, auf denen der Glaube an x letztlich beruht? Und wie glaubwürdig müssen zum anderen die das Wahrnehmungswissen weitergebenden Informationen sein, auf die A oder wir, falls A oder wir die Wahrnehmungen nicht selber gemacht haben, das Urteil, dass x zutrifft, gründen können?
    Schon unsere obigen Überlegungen (S. 47 ff.) dürften deutlich gemacht haben: Eine präzise Antwort auf diese Fragen ist nicht möglich. Es lässt sich nun einmal nicht genau sagen, wie viele zuverlässige Menschen wie oft Wahrnehmungen einer bestimmten Art gehabt haben müssen, damit ihre Aussage, dass sie x wahrgenommen haben, als gerechtfertigt gelten kann. Und es lässt sich ebenso wenig genau sagen, wie viele zuverlässige Menschen wie viele Informationen über die eigenen oder die

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