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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Hoerster
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Wahrnehmungen anderer Menschen weitergegeben haben müssen, damit diese Informationen die Behauptung, dass x zutrifft, beweiskräftig begründen können. Und schließlich lässt sich auch nicht genau sagen, welches Maß an Glaubwürdigkeit und Zustimmung eine mögliche
Kritik
behaupteter Wahrnehmungen bzw. Informationen erreicht haben muss, damit diese Kritikdie Behauptung, dass x zutrifft, als widerlegt erweisen kann.
    Es wäre jedoch ein gewaltiger Fehlschluss anzunehmen, es ließe sich nach alledem
niemals
definitiv sagen, A wisse, dass x zutrifft, bzw. A wisse
nicht,
dass x zutrifft. Denn dass bestimmte Bedingungen oder Kriterien für einen Tatbestand eine gewisse Grauzone der Unbestimmtheit oder Vagheit aufweisen, bedeutet nicht, dass es nicht eine Vielzahl von Fällen gibt, in denen ein objektiver und kompetenter Betrachter daran, dass A weiß bzw. dass A
nicht
weiß, dass x zutrifft, mit Recht gar keinen Zweifel hat. So würde ich etwa behaupten, dass ich zweifellos weiß, dass in meinem Arbeitszimmer ein Schreibtisch steht (siehe S. 45). Und ich würde ebenfalls behaupten, dass ich zweifellos
nicht
weiß, ob es tatsächlich, wie ich kürzlich gelesen habe, in Italien im Durchschnitt mehr regnet als in England. Dass ich dies nicht weiß, schließt natürlich nicht aus, dass andere es wissen und dass auch ich es demnächst, nachdem ich mich aus seriösen Quellen informiert habe, wissen werde.
    Es dürfte keinem Leser schwer fallen, sich eine Vielzahl ähnlicher Beispiele vor Augen zu führen, in denen er sich selbst oder einem anderen Menschen ein bestimmtes Wissen ohne jeden Zweifel zusprechen bzw. absprechen würde. Natürlich gibt es – eben wegen der mangelnden Präzision der Wissensbedingungen – auch immer wieder einzelne Fälle, in denen auch vernünftige und aufgeklärte Menschen über das, was sie selbst oder andere wissen bzw. nicht wissen, verschiedener Meinung sind.
    Dass es durchaus wohlbegründetes Wissen gibt, bedeutet, wie wir schon sahen (S. 25), nicht, dass dieses Wissen gleichzeitiggarantiert unfehlbar ist. Die logische Möglichkeit, dass selbst zahlreiche Menschen sich in ihren Wahrnehmungen oder ihren Informationen irren bzw. täuschen lassen, lässt sich nie ausschließen. Daraus folgt jedoch nicht, dass wir im Grunde niemals eine Wissensbehauptung aufstellen dürfen, das heißt uns niemals sicher sein dürfen, dass etwas der Fall ist.
    So bin ich mir etwa – mit meiner in meinem Personalausweis eingetragenen Körpergröße von 1,87 m – ganz sicher und, wie ich meine, zu Recht sicher, dass ich seit langem jedenfalls größer als 1,80 m bin. Sollte sich aber überraschenderweise herausstellen, dass sämtliche bisherigen Messungen meiner Körpergröße (zu Hause und in Arztpraxen) sowie sämtliche Vergleiche meiner Größe mit der Größe anderer Personen aus bestimmten Gründen fehlerhaft waren und dass ich tatsächlich
nicht
größer als 1,80 m bin, so würde ich nachträglich natürlich zugeben, dass ich seinerzeit
nicht
wusste, dass ich größer als 1,80 m bin, und behaupten, dass ich
jetzt
weiß, dass ich
nicht
größer als 1,80 m bin. Trotzdem würde ich darauf bestehen (und zwar mit Recht darauf bestehen), dass ich zu meiner früheren Behauptung, dass ich größer als 1,80 m sei, vollauf berechtigt war und dass ich mir wegen meines Irrtums kein irrationales Verhalten vorzuwerfen habe. Im Übrigen lässt sich ja auch logisch nicht ausschließen, dass sich eines Tages die
zuletzt
genannten Untersuchungsergebnisse als fehlerhaft erweisen und dass die früheren Ergebnisse wieder rehabilitiert werden. Ganz allgemein gilt: Dass ich gestern mit Recht zu wissen glaubte, dass eine Behauptung wahr ist, schließt nicht aus, dass ich heute wissen kann, dass dieselbe Behauptung falsch ist.
    Wir müssen uns jetzt noch einmal der Frage zuwenden, über welche
Arten
von Realität wir mithilfe von Sinneswahrnehmung überhaupt Wissen erlangen können. Wir sahen ja schon (S. 45 f.), dass eine dieser Arten Gegenstände der menschlichen Außenwelt – etwa Tische, Bäume und Städte – erfaßt. Und zu derartigen Gegenständen gehören natürlich auch andere Menschen, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Eine solche Wahrnehmung aber wirft folgende interessante Frage auf: Wir nehmen gewöhnlich nicht nur an, dass andere Menschen – genauso wie Tische oder Bäume – über bestimmte äußere Merkmale (wie Größe oder Gewicht) verfügen. Wir gehen vielmehr als selbstverständlich

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