Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
auch dieses Wissen, das auf unser Alltagswissen in mancher Hinsicht Einfluss gewinnen kann, basiert letztlich wie das Alltagswissen auf empirischer Wahrnehmung und logischem Denken. Dass in der Wissenschaft auch immer wieder Ausdrücke oder Begriffe vorkommen, die nicht unmittelbar auf sinnlich Wahrnehmbares Bezug nehmen, steht dazu nicht im Widerspruch. Denn in der Wissenschaft spielen immer auch Theorien und Erklärungen eine wichtige Rolle, die als solche über die bloße Darstellung wahrgenommener Gegenstände oder Ereignisse weit hinausgehen.
Typische Aussagen der Wissenschaft stellen etwa die Beispiele 7 und 8 auf Seite 20 dar. Dabei ist die Aussage, dass die Erde rund ist, im Prinzip auch der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung zugänglich – falls man sich etwa in den Weltraum begibt. Anders steht es offenbar um die Aussage, dass es Atome gibt. Hier handelt es sich, wenn man der modernen Naturwissenschaft vertrauen darf, um eine theoretisch eben so sinnvolle wie unverzichtbare Annahme, die sich gleichwohl auf keine direkte Wahrnehmung gründen lässt. Atome existieren also, auch ohne als solche wahrnehmbar zu sein – allerdings im Rahmen eines Denkgebäudes, dessen Basis nicht etwa beliebige Behauptungen, sondern durchaus empirische Wahrnehmungen bilden.
Unser bisheriges Ergebnis, dass es vielfältiges Wissen sowohl logischer als auch empirischer Art geben kann, bedeutet nicht notwendig, dass solches Wissen das
einzige
Wissenist, das uns Menschen zugänglich ist. Es gibt eine lange Tradition in der Geschichte der Philosophie, wonach es außer logischem und empirischem Wissen auch noch ein sogenanntes metaphysisches Wissen gibt. Ein solches metaphysisches Wissen würde sich, falls vorhanden, offenbar auf eine
ganz eigene,
weder logisch noch empirisch zugängliche Wirklichkeit beziehen. Es ist jedoch nicht nur umstritten, ob es ein solches Wissen überhaupt gibt. Es ist zudem unter den Anhängern metaphysischen Wissens außerordentlich umstritten, was im Einzelnen als metaphysisches Wissen gelten kann. Es ist nicht zu übersehen: Die Meinungsverschiedenheiten über die einzelnen Gegenstände des Wissens sind im Bereich der sogenannten Metaphysik weitaus größer als in den beiden anderen, zweifellos vorhandenen Wissensbereichen.
Da es in diesem Buch um jenes Alltagswissen geht, das im Prinzip jeder haben kann (vgl. S. 9), werde ich nur solchen speziellen metaphysischen Annahmen Beachtung schenken, die auf unser Alltagswissen unmittelbar Einfluss gewinnen können. Diese Voraussetzung dürfte vor allem auf die Themenbereiche der Wertebegründung und der Religionsbegründung zutreffen, die in den Kapiteln 5 und 6 behandelt werden. In diesen Kapiteln werden deshalb auch Fragestellungen metaphysischer Art eine Rolle spielen.
4. Kann man aus Vergangenem auf Zukünftiges schließen?
Seit wir denken können, ist in Deutschland etwa alle vierundzwanzig Stunden die Sonne wieder aufgegangen. Wird das auch morgen so sein? Oder wird der nächste Sonnenaufgang erst in einer Woche oder in einem Monat oder vielleicht gar nicht mehr erfolgen? Nun, wir alle gehen im Alltag als selbstverständlich davon aus, dass die Sonne bei uns morgen – und nicht erst in einer Woche oder einem Monat – wieder aufgehen wird. Die große Frage jedoch, mit der sich Philosophen seit langem beschäftigen, lautet: Lässt sich diese Annahme, die uns allen so selbstverständlich erscheint, eigentlich auch begründen? Oder ist sie mehr oder weniger willkürlich, und könnten wir ebenso gut das Gegenteil annehmen?
Wie enorm wichtig die Antwort auf diese Fragen für unser gesamtes Weltverständnis ist, zeigt sich spätestens dann, wenn wir uns klar machen, welches
allgemeine
Prinzip hinter unserer Erwartung des regelmäßigen Sonnenaufgangs steht und welche Rolle genau dieses Prinzip in einer Vielzahl von Fällen immer wieder in unserem Leben spielt. Das Prinzip lautet: Die Natur ist in wesentlicher Hinsicht konstantoder beständig; ihr Verlauf ist regelmäßig, sie folgt erkennbaren Gesetzen.
Hier ein weiteres Beispiel: Ich gehe, wie wir im vorigen Kapitel sahen, mit Recht davon aus, dass mein Schreibtisch auch jede Nacht in meinem Arbeitszimmer steht, wenn ich ihn nicht sinnlich wahrnehme. Bestätigt finde ich meine Annahme dadurch, dass ich den Schreibtisch jeden Morgen wieder an seinem Platz stehen sehe. Doch meine Annahme über die fortdauernde Existenz meines Schreibtisches richtet sich nicht nur auf die Vergangenheit; sie richtet sich
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