Was kostet die Welt
kontrolliert. Na ja, vielleicht wird das ja ganz nett, in diesem Weinnest an der Mosel. Die Abgeschiedenheit wird mir guttun, einfach mal runterkommen, den Jetlag abschütteln, nichts tun und niemanden kennen. AuÃer Flo, aber den ja auch nur flüchtig. Ein einziges Mal habe ich ihn getroffen, vor zwei Wochen, bei einer der zahllosen Partys auf Brians Hausdach in Greenpoint.
Jeden Abend gab es ein groÃes Rumgehänge dort oben. Die meisten Lofts in dem ehemaligen Industriegebäude haben weder Balkon noch Fenster, also sitzen die Bewohner
im Sommer auf dem Dach rum und genieÃen einen wundervollen Ausblick über Manhattan und Brooklyn.
Hätte ich nicht diesen schäbigen Wein gekauft, wären Flo und ich vermutlich gar nicht ins Gespräch gekommen. Chateau Diana , acht Dollar am Kiosk. Ich fragte die Runde nach einem Korkenzieher. Ein Typ meldete sich, es stellte sich heraus, dass er Deutscher war. Florian Arend aus Renderich, einem Weindorf an der Mosel. Er war mit irgendwelchen Leuten aus einem anderen Loft im Haus da und erklärte mir, dass es genaugenommen gar kein Wein war, was ich da ausgesucht hatte, sondern ein »weinhaltiges Erzeugnis«.
»Der Begriff Plörre trifft es eindeutig besser«, sagte er.
Dass ich der groÃe Connaisseur sei, wurde mir noch nie nachgesagt, doch Flo hatte Recht - der Chateau Diana war absolut ungenieÃbar. Bei einem Namen, der eher nach drittklassiger Sexklamotte klingt, hätte man ja eigentlich schon skeptisch werden sollen. Auch die Flasche sah nicht besonders vertrauenserweckend aus. Auf dem hinteren Etikett stand, der Wein passe besonders gut zu »cheeseburgers and pork roasts«.
»Wenn du einen wirklich guten WeiÃwein trinken willst, musst du mal zu uns an die Mosel kommen«, sagte Flo und erzählte, dass er gerade die Ausbildung zum Winzer beendet habe und bald das Weingut seiner Eltern übernehmen werde. Wir unterhielten uns ein bisschen. Ich weià nicht mehr genau, worüber. Ich war schon ziemlich voll.
Bevor ich mit Brian, Verena und ein paar anderen Leuten zur nächsten Party aufbrach, gab Flo mir seine Nummer, die ich mir aus reiner Höflichkeit ins Handy tippte. Ich dachte nicht, dass ich sie jemals benutzen würde. Schon gar nicht so bald.
Auch Flo klang gestern Abend am Telefon ziemlich überrascht, dass ich mich so schnell meldete. Er ist ja selbst erst seit anderthalb Wochen aus New York zurück.
»Mensch, Meise. Schön, von dir zu hören!«
Wir machten ein bisschen Smalltalk, dann fragte ich, ob sein Angebot noch stehe.
»Aber sicher doch!«, sagte er und reservierte mir sofort eine kleine Wohnung im Gästehaus des Weinguts. »Mittwochabend bis Montag früh, null Problemo!«
Er sagte wirklich »null Problemo«.
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Ich habe niemandem Bescheid gesagt. Was sollte ich denn auch sagen? Warum fahre ich in ein winziges Kaff an der Mosel, wo die Ortschaften Namen wie Ãrzig, Kröv oder Bullay tragen und oft nicht mal vierstellig in der Einwohnerzahl sind, und das nach all den Ländern und Metropolen, in denen ich mich rumgetrieben habe?
Warum verlasse ich Berlin nur sieben Tage nach der Landung wieder, wo ich mich doch so sehr auf mein Zuhause gefreut habe, auf meine Wohnung, meine Stadt und meine Freunde, und besuche stattdessen einen Typen, den ich kaum kenne?
Weil ich dringend tausend Euro fürs Reisen ausgeben muss. Wie zur Hölle soll man das jemandem erklären?
Da fällt mir ein, dass Flo mich mit dem Auto vom Bahnhof in Reil abholen will. Der Ort, in dem er wohnt, hat nämlich keinen Bahnhof. Renderich. Ich habe das Nest nicht mal im Atlas gefunden. Musste es online suchen und habe dabei gesehen, dass es hier irgendwo sogar eine Stadt namens Adenau gibt. Das sagt ja wohl alles. Das sogenannte Deutsche Eck und die Loreley sind auch nicht weit. Waren beide vorhin schon auf Wegweisern ausgeschildert.
Ich war noch nie so weit im Westen der Republik. Rheinland-Pfalz. Mehr Westdeutschland geht glaube ich gar nicht. Riecht auf jeden Fall ganz schön nach Bundesrepublik hier.
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»hallo flo, der zug hatte verspätung, werde erst um halb 8 da sein. bis gleich, meise.«
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SENDEN.
SUCHEN.
F.
L.
O.
FLORIAN AREND (WEINTYP).
AUSWÃHLEN.
MITTEILUNG WIRD GESENDET.
MITTEILUNG GESENDET.
Kobern-Gondorf, Treis-Karden - die kleinen Bahnhöfe, die wir nun durchqueren, klingen mit ihren Doppelnamen wie FDP-Politikerinnen. Die Einsteigenden
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