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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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sprechen immer undeutlicher. »Un«, »net«, »wat« und »isch« sind die meistgebrauchten Laute. Als wollten sie mich auf die näher rückende Pfalz vorbereiten, auf das Saarland, auf Hessen und Baden-Württemberg, das Allgäu, den Schwarzwald, die Schweiz und weiß der Geier, was da noch alles kommt und in welcher Reihenfolge.
    Die Konversation zweier Männer im Gang:
    Â»Un?«
    Â»Selbst?«

    Â»Muss!«
    Â»Jupp.«
    Vier Sätze. Vier Wörter. Vier Silben. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich das total stumpf oder genial finden soll, oder beides.
    Es geht durch einen Tunnel, der so lang ist, dass ich die Augen zusammenkneifen muss, als der Zug ihn wieder verlässt und die Abendsonne von rechts durch das Fenster strömt. Der Zug überquert die Mosel und fährt auf der anderen Flussseite weiter, bis wir Bullay erreichen.
    Hier muss ich ein letztes Mal umsteigen.
    Die »Moselwein-Bahn« Richtung Traben-Trarbach wartet schon. Sie besteht aus zwei Abteilen, von denen eins leer ist. Im anderen sitzt ein gutes Dutzend Fahrgäste. Sie sind alle über sechzig und unterhalten sich über die Supermärkte in der Gegend.
    Â»Beim Aktiv-Markt in Cochem, da brauchst du abends kein Fleisch mehr kaufen. Da kriegst du nichts Vernünftiges mehr.«
    Â»Das ist richtig, das ist richtig.«
    Â»Auch samstagmittags kriegt man da kein frisches Fleisch mehr. Wenn du schaffen gehst, hast du keine Chance.«
    Â»Ganz genau. Da musst du schon nach Zell hinfahren, zum Globus, oder ganz runter nach Trarbach.«
    Sie reden sehr laut. Vielleicht sind sie alle halb taub. Oder sie denken, sie müssten die Stille der Gegend mit ihrem Gebrüll wieder ausgleichen.
    Die Schaffnerin steht daneben, als gehöre sie dazu. Vielleicht ist sie ja gar keine Schaffnerin, sondern eine Zugbegleiterin. Gibt es da eigentlich einen Unterschied? Viel zu tun hat sie jedenfalls nicht, weswegen sie freiwillig ein bisschen Fremdenführerin spielt.

    Â»Gleich wird es einmal dunkel«, erklärt sie mir beim Kontrollieren des Fahrscheins. »Dann wird’s hell, dann kommt eine Kurve, und dann sind wir da.«
    Oder macht sie das hier freiwillig in ihrer Freizeit, weil sie sonst nichts zu tun hat und so gern unter Menschen ist?
    Â»Ach so«, sage ich.
    Die Zugbegleiterin lächelt mich an. »Jetzt!«, ruft sie.
    Der Zug fährt in einen Tunnel, es wird schwarz.
    Â»Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!«
    Die älteren Herrschaften lachen.
    Der Zug verlässt den Tunnel, biegt um die Ecke und kommt kurz darauf zum Stehen. Mein Herz pocht lauter und schneller, als es das jemals auf einem internationalen Flughafen getan hat. Ich fühle mich, als würde ich ganz allein in einem Dschungel ausgesetzt.

4
    Wenn der Typ in der kurzen Tarnhose und dem ausgeblichenen St.-Pauli-T-Shirt nicht so eilig auf mich zugerannt käme, würde ich ihn vielleicht gar nicht erkennen. Er hat sich die Haare schneiden lassen oder selbst abrasiert, Langhaarschneider, längste Stufe. Außerdem hatte ich ganz vergessen, dass er so einen schrecklichen Riesenohrring hat, Tunnel oder wie die heißen. Der Nasenring dieses Jahrzehnts. Was ihnen wohl als Nächstes einfällt. Vielleicht kommt ja das Augenbrauenpiercing zurück. Bitte nicht.
    Er nimmt mich in den Arm und klopft auf meinen Rücken, was mir ein bisschen unangenehm ist, weil ich so schwitze und mir das Hemd am Körper klebt.
    Â»Moin, Alter«, raunt Flo in mein Ohr, als wären wir alte Seemannskameraden. »Gute Fahrt gehabt?«
    Ich löse mich aus der Umarmung. »Ja, war okay. Hast du meine SMS bekommen?«
    Â»Habe ich bekommen.«
    Â»Ich hoffe, du hast nicht zu lange auf mich gewartet.«
    Â»Kein Ding. Da vorne steht der Wagen. Wie hat dir die Fahrt mit dem Saufbähnchen gefallen?«
    Â»Saufbähnchen?«
    Â»So heißt die Moselwein-Bahn im Volksmund. Dreimal darfste raten, wieso.«
    Â»Ach so. Ja, gut, also …«

    Â»Der gesamte Streckenabschnitt beträgt nur gut zehn Kilometer. Größtenteils eingleisig. Die alte Strecke ging von Bullay bis Trier. Wurde aber in den Sechzigern stillgelegt. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln haben wir’s hier nicht so. Hier macht jeder mit fünfzehn den Mofaführerschein, und pünktlich zum Achtzehnten liegt der Lappen auf dem Tisch. Ohne Auto bist du völlig aufgeschmissen.«
    Â»Ja, glaube ich.«
    Â»Ich bin früher

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