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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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C.!
    Â»Listen to your hea-aart!«, hat Verena mir immer wieder vorgesungen, als ich in New York an einer inneren »I was made for loving you, baby«-Dauerschleife litt. Das war die aktive Anwendung ihrer Theorie, nach der man einen Ohrwurm nur mit einem anderen Ohrwurm bekämpfen kann. Bei mir wirkt diese »Fight fire with fire«-Therapie aber leider nicht, es führte nur dazu, dass sich beide Songs in meinem Kopf zu einem grausamen Medley vermischten, das mich noch stundenlang terrorisierte.
    Ohrwurm und Kater, das ist eine qualvolle Kombination. Der überall präsente Wein macht es auch nicht besser. Das Aquarell an der Wand zeigt Weinberge an der Mosel, die Wanduhr hat die Form eines Weinblatts, auf dem Tresen und in der Vitrine dahinter stehen lauter Weinflaschen, und die Marmelade auf dem Tisch muss die selbst gemachte Weinbergpfirsichmarmelade sein, die man bei Arends kaufen kann. Als ich daran schnuppere, wird mir ein bisschen
übel. Wie damals, als ich bei Olli in Leipzig übernachtet habe. Olli hatte damals diese Jägermeister-Bettwäsche. Wir waren die Nacht vorher aus gewesen und hatten irre viel gesoffen, unter anderem Jägermeister, und als ich mittags aufwachte und das Logo dieses Gesöffs vor mir sah, wurde mir so schlecht, dass es mir sofort hochkam. Weil nichts anderes da war, formte ich meine Hände zu einer Schüssel und würgte hinein. Auf dem Weg zum Klo lief mir die dünne Suppe zwischen den Fingern durch. Danach nannte Olli mich eine Weile »Reiher-Tobi«. Ich war froh, dass wir in zwei verschiedenen Städten wohnten, denn so ein Spitzname bleibt ja schnell haften, den wird man unter Umständen nie wieder los, und als »Reiher-Tobi« wollte ich nicht unbedingt in die Geschichte eingehen.
    Genauso wenig wie als »Halbsteifer-Wohnmobilnutten-Meise«.
    Ich gieße mir noch einen Kaffee ein.
    Was für eine Scheiße das gestern war. Ich komm ja öfter mal auf dumme Ideen, wenn ich betrunken bin, aber sonst werden die immer in halbwegs vernünftige Bahnen gelenkt. Vielleicht liegt es daran, dass es in dieser Gegend gar keine vernünftigen Bahnen gibt. Amokläufer kommen schließlich auch häufig aus kleineren Ortschaften. Habe ich zumindest mal gelesen. Erscheint mir auch durchaus plausibel.
    Wie viele Menschen ich wohl schon gekillt hätte, wenn ich hier leben müsste?
    Und wo kommt eigentlich dieses Flüstern auf einmal her?
    Da ist so ein leises Zischen. Ich lausche angestrengt. Klingt, als würde irgendwo Gas ausströmen. Ich habe noch nie Gas ausströmen gehört, ich weiß nicht mal, ob ausströmendes Gas ein Geräusch macht, aber so stelle ich es mir vor.

    Oder bilde ich mir das nur ein? Die sich nähernden Schritte jedenfalls sind real. Frau Arend betritt den Frühstücksraum und fragt mich lächelnd, ob ich alles habe, was ich brauche.
    Ein kleines Bächlein Schweiß läuft mir kühl die Wirbelsäule entlang und pappt mein Hemd an meinem Rücken fest, als ich mich in den Rattanstuhl zurücklehne.
    Â»Absolut«, sage ich, »ich bin sowieso kein großer Frühstücker.« Ich hoffe, dass sie das nicht missversteht und als Kritik an ihrem Frühstück deutet. Das wäre mir dieser freundlichen Frau gegenüber sehr unangenehm. Genau wie mein Zustand. Wahrscheinlich sehe ich nicht gerade blendend aus.
    Â»Ich hab Ihnen extra statt der Wurst mehr Käse und Marmelade hingestellt.«
    Â»Danke«, sage ich. Ich würde am liebsten hinzufügen, dass sie doch bitte endlich aufhören soll, mich zu siezen, lasse es aber sein. Die Ausfahrt haben wir irgendwie verpasst, das hätte man gleich machen sollen, jetzt ist es zu spät, jetzt müssen wir das so durchziehen, Frau Arend und ich.
    Sie räumt den Tisch der Schwabenhippies ab und erzählt mir dabei den neuesten Gossip, den Talk of the Town, den heißen Scheiß von Renderich: Bei Metzger Busch ist heute früh eine Kuh abgehauen. Und das ging so: Kuh wird frühmorgens zur Schlachtung angeliefert, Hänger wird geöffnet, Kuh springt heraus und galoppiert schnurstracks die Straße runter.
    Â»Der Metzger hinterher, aber die Kuh war schneller. Sie ist geradewegs auf die Mosel zugerannt, reingesprungen und einmal durchgeschwommen. Auf der anderen Seite haben sie sie erwischt und direkt erschossen.«
    Â»Irre«, sage ich.

    Â»Das ganze Dorf redet von nichts anderem.«
    Â»Das glaube

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