Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)
Vivi nimmt das als Signal und schwebt mit anmutigen Schritten in die Mitte des Raumes, dreht sich einmal wie ein Model auf dem Laufsteg, breitet ihre Arme zu einer allseitigen Umarmung aus und bringt ihre übliche Begrüßungsnummer:
»Hi, ich bin Vivi. Mit zwei Vaus, wie fischen und ...«, sie macht eine kleine Kunstpause, »... vögeln.«
Niemand bewegt sich. Irgendwo stöhnt jemand gequält. Vivi lächelt zufrieden, stemmt die Hände in die Hüften, legt den Kopf schräg und zündet die Bombe.
»Kann mir irgendjemand ein volles Glas irgendetwas besorgen?«
Die Hölle bricht los! Alle Singles sind in rasender Bewegung, und die Liierten stöhnen machtlos. Der ganze Raum ist eine einzige Kettenreaktion, und mitten im Hormonschlachtfeld steht Vivi und hat mal wieder das, was sie für Erfolg hält. Sie entdeckt mich und winkt mir fröhlich zu. Ich verdrehe die Augen und mache, dass ich abtauche.
Die Frau von der Fensterbank ist nicht mehr auf ihrem Platz. Irgendwann werde ich mich fragen, warum ich sie nie kennen gelernt habe, aber bis dahin richte ich mir einen Beobachtungsposten an der Front ein und arbeite mich mit Hilfe meiner Lieblingsbarfrau durch die verschiedenen Kombinationen. Gesichter und Geschichten ziehen an mir vorbei und hinterlassen eine breite Spur aus Oberflächlichkeit und Lügen. Zwischendurch kommt immer wieder jemand vorbei und redet. Ich nicke von Zeit zu Zeit, lasse mein Glas nachfüllen und meinen Blick durch das Chaos wandern, während ich versuche, mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal geweint habe.
3. Dealen
J emand hat meinen Kopf mit Blei gefüllt. Die Sonne knallt rein, und die Einrichtung tanzt vor meinen Augen. Weiße Wände, ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett, ein Fenster, eine tote Pflanze. Trautes Heim, Glück allein.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch einen zweiten Blick darauf werfen muss, denn der große Zeiger steht zwar deutlich auf der Zehn, aber der kleine ist nirgends zu entdecken. Ein paar Mal zoomen, und das Rätsel ist gelöst. Der Kleine hat sich hinter dem Großen versteckt. Na, der hat es begriffen.
Nach einem weiteren Blick in den Kalender weiß ich, dass mein Frühstück ausfällt, denn in zehn Minuten bin ich mit dem Booker vom E-Werk verabredet, und wer bin ich denn, dass ich den Messias warten lasse?
Aber zuerst muss ich kotzen. Ich mach das besser hier als nachher in der Bahn, also schwanke ich ins Badezimmer, knie mich vor die Schüssel und warte. Nichts passiert. Ich warte. Nichts passiert. Ich warte. Nichts passiert. In solchen Fällen hilft nur eins: an Kotze denken. uuulllppp ! Die Kunst dabei ist, das Ganze nicht persönlich zu nehmen. Aha! Kartoffelsalat. Der war lecker. Aber was ist das da ... Fisch?
Nachdem ich die Speisekarte analysiert und die Spuren mit Zahnpasta, Aftershave und Creme verwischt habe, werfe ich mich in Jeans und Shirt und wanke die Treppen runter, um es hinter mich zu bringen.
Es stellt sich heraus, dass der Booker auch neben dem Fußballplatz ein netter Mensch ist, und unser Gespräch macht einen schönen Alleingang. Die Stunden fliegen nur so dahin, und irgendwann haben wir uns über Heiner Pudelko, der leider gestorben ist, über Rio Reiser, der leider gestorben ist, über einen Produzenten aus Bonn, der leider nicht gestorben ist, über Ulla Meinecke, in die ich mich irgendwann bei einem Interview verknallte, über ihn, über die Welt und über die Frauen unterhalten. Wir haben sogar dem FC zehn Minuten volle Aufmerksamkeit gewidmet. Sollten die Spieler auch mal versuchen. Es wird Zeit, aufs Thema zu kommen, solange ich es ertrage, ausgelacht zu werden.
»Ich wollte dich was fragen ...«
Er nickt mir aufmunternd zu. Ich merke mir das Lächeln. Wird fürs Erste das letzte sein.
»Die Jungs wollen unbedingt bei dir spielen.«
Er nickt.
»Warum eigentlich nicht?«
Ich starre ihn an. Beim Pokern und Geschäftemachen sollte man sein Gesicht unter Kontrolle haben, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass er so fies sein würde!
»Wann denn?«, fragt er unschuldig und lacht sich ins Fäustchen, dass er mich so sauber erledigt hat.
»Schnell! Bald! Nächsten Monat!«, stolpere ich los.
»Mit wem?«
»Alleine.«
Jetzt stutzt er.
»Hör mal, also nicht, dass ich der Meinung bin, ihr könntet den Laden nicht alleine voll machen ...«
»Gut!«
Daran hat er zu kauen. Der Ausgleich liegt in der Luft.
»Ich hab gelesen, dass ihr diesen Monat schon im mtc spielt. Ist es denn so schlau, einen Monat später sofort
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