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Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition)

Titel: Was mich fertig macht, ist nicht das Leben, sondern die Tage dazwischen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
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Palette.
    »Und was ist das Problem?«
    Sie zögert, dreht an der Spannungsschraube, und im richtigen Augenblick, ungefähr eine Nanosekunde, bevor ich aufstehe und sie sitzen lasse, platzt sie mit der Message heraus.
    »Er ist bi-sex-u-ell !«
    Sie spricht es aus wie a-so-zi-al . Ich bleibe stumm und warte auf die Pointe.
    Sie macht eine dramatische Geste zum Himmel hin.
    »Verstehst du denn nicht – er ist bi !«
    »Ist doch jeder heutzutage.«
    »Aber seine Freunde sind schwul und gehen in diese Parks und machen es mit jedem, der vorbeikommt!«, jammert sie.
    Ich denke an das Verhältnis Fremde zu Kondomen, das ich bisher in Vivis Zimmer gesehen habe. Seeehr dünnes Eis! Okay. Erst beruhigen.
    »Dass seine Freunde schwul sind, ist doch das Beste, was dir passieren konnte.«
    »Häh?«
    »Na, schau, als Aids in den Medien losging, da waren die Schwulen die letzte Rettung. Sie wurden für alles verantwortlich gemacht, um die Massenhysterie unter Kontrolle zu bekommen. Jeder prominente Schwule, der auch nur einen Schnupfen hatte, wurde mit Foto, Lebenslauf und Abschiedsbrief in den Blutblättern abgedruckt. Das alles geschah, um den Leuten einzureden, dass keine Gefahr besteht, solange man Hetero war, ist und bleibt.«
    Vivi legt die Stirn in Falten. Schnell eine Kamera!
    »Verstehe ich nicht«, murmelt sie.
    »Aber gleich. Die Schwulen haben damals einen Vorsprung bekommen. Sie haben sich tausend Aktionen einfallen lassen, um ihre Leute über Aids aufzuklären, und als die meisten Heteros sich noch in ihrer Unverwundbarkeit sonnten, da lagen in Schwulenclubs schon lange Kondome und Aufklärungsbroschüren herum.«
    Das gibt ihr wieder zu denken.
    »Das heißt, ich brauche mir keine Sorgen zu machen, dass Marco Aids hat?«
    Zeit für die Wahrheit.
    »Lebst du auf dem Mond? Diese Scheiße kann jeder bekommen, der sich nicht schützt.«
    Sie überlegt.
    »Das würde ja bedeuten, dass man immer mit ...«
    »Genau.«
    »Immer?«, jammert sie und schaut mich an, als könnte ich etwas daran ändern.
    »Oder du vertraust jemandem, der einen Test gemacht hat und dir sagt, dass er seitdem nicht ohne Gummi rumgemacht hat. Oder du praktizierst safer Sex. Oder du nimmst das Risiko in Kauf, infiziert zu werden.«
    »Oder?«, fragt sie hoffnungsvoll.
    Ich zucke die Schultern.
    »Scheiße!«, sagt sie voller Inbrunst.
    Na, zumindest mit der Aussage wird sie nie alleine dastehen.
    »Machst du es denn immer mit?«, fragt sie.
    Weil ich weiß, wie wichtig heutzutage Vorbilder sind, sage ich Ja. Weil ich weiß, wie unglaubwürdig eine unbefleckte Weste ist, füge ich hinzu, dass es da schon mal eine Ausnahme gab. Bei der Gelegenheit beschließe ich auch gleich, ihr zu verschweigen, wie hoch der prozentuale Anteil von homosexuellen Männern bei den hiv -Infizierten ist, sie redet eh von etwas völlig anderem. Was ihr Angst macht, ist etwas, das mit »B« anfängt und mit »Ziehung« aufhört.
    Das Telefon klingelt, und Vivi sabbert. Das Pawlow’sche Gesetz mal anders. Von einem Moment auf den anderen ist sie wieder Sklave ihrer Leidenschaften und verabredet sich mit irgendeiner Männerstimme für heute Abend.
    Als sie den Hörer auflegt, hat sie unser Gespräch schon vergessen und verschwindet in ihrem Zimmer, um sich zu überlegen, wie viele Klamotten sie nicht anziehen muss, um aus einem normalen Menschen ein sabberndes Wrack zu machen. Sie hat soeben ihre Evolutionspflichten für ein ganzes Jahr hinter sich gebracht, und trotzdem hätte Doktor Tacheles ihr gerne noch mitgeteilt, dass sie seiner Meinung nach vielleicht nur Angst hat, dass Marco mal einen seiner schwulen Freunde mitbringen könnte, denn was sollte sie dann bitte schön mit dem machen – reden etwa?
    Das Telefon klingelt wieder. Ich höre, wie sie in ihrem Zimmer aus den Startblöcken geht.
    »Ich geh ran!«, rufe ich und schnappe mir den Hörer. »Hallo.«
    Stille. Irgendjemand atmet leise am anderen Ende. Kann nur einer dieser schwachsinnigen Verehrer von Vivi sein.
    »haaallooo!«
    Nichts.
    Ich will gerade zu einer Tirade ansetzen, da erwischt es mich.
    »Tacheles ...«
    baff ! Versenkt! Die Stimme der Tänzerin.
    »Können wir uns sehen?«
    Jetzt bin ich dran zu schweigen.
    »Tacheles ...«
    Der Hörer vibriert in meinem Ohr.
    »Bist du noch dran?«
    Krieg keinen Ton raus.
    »Magst du nicht rüberkommen?«
    Ich räuspere mich ein paarmal.
    »Rüber.«
    »Ich bin in meiner alten Wohnung.«
    »Wann.«
    »Wie wäre es mit gleich?«
    »Ja.«
    Ich schaffe es im

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