Was mit Rose geschah
Tene schaut zu mir auf und bietet mir einen Platz an. »Wie geht es Ihnen? Sind Sie gesund, Mr Janko?«
Er zuckt mit den Schultern. »Einigermaßen.«
»Ich muss Ihnen etwas erzählen. Ich würde es auch gerne Ihrem Sohn sagen, aber, na ja … Wir haben Rose Wood gefunden.«
»Das habe ich Ihnen doch gesagt«, erwidert er leise.
»Ja … das haben Sie. Und daher war meine Andeutung, dass Ivo etwas mit ihrem Verschwinden zu tun haben könnte, falsch. Dafür entschuldige ich mich bei Ihnen und bei ihm. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen Kummer bereitet habe.«
Tene schaut auf den Tisch. Ich frage mich, ob er meine Worte überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Weshalb reagiert er nicht – weshalb ist er nicht selbstgefällig oder zornig? Dann sagt er: »Haben Sie sie gesehen?«
»Ja. Wir haben sie gesehen und mit ihr gesprochen. Sie hat uns erzählt, wie sie aus ihrer … Ehe mit Ivo geflohen ist. Sie sagt, Sie hätten ihr geholfen. Dafür ist sie Ihnen dankbar.«
Ich beobachte ihn. Sein Gesicht verrät nichts.
»Na schön. Es ist also vorbei.«
»Nicht ganz. Dass wir sie gefunden haben, wirft neue Fragen auf. Das müsste Ihnen klar sein.«
»Was meinen Sie?«, sagt er mit neutraler Stimme.
»Sie sagt, sie hätte nie ein Kind geboren.«
Schließlich nickt Tene – eine winzige, langsame Bewegung. »Das habe ich mir gedacht. Sie konnte nicht akzeptieren, was geschehen war. Es war zu viel für sie.«
»Nein. Sie kann keine Kinder bekommen. Sie konnte es nie. Sie ist nicht Christos Mutter.«
Ich erkläre ihm die Sache mit den Daten. Mit dem Hochzeitsfoto und den Zeugen. Er verzieht keine Miene.
»Ihr Unfall ereignete sich im Dezember 1979. Rose hat Ivo nicht einige Wochen nach Christos Geburt verlassen, sondern schon Monate vorher. Ein ganzes Jahr war vergangen. Sie ist nicht die Mutter.«
Er rührt sich nicht. Kein Anzeichen des Verstehens.
»Wer dann?«, setze ich nach.
Keine Antwort.
»Warum haben Sie und Ivo den Leuten erzählt, dass Rose die Mutter sei?«
»Weil sie seine Mutter ist. Ich verstehe nicht, warum Sie so etwas sagen.«
Eine Welle der Ungeduld überkommt mich.
»Mr Janko, ich weiß, dass es unmöglich ist! Haben Sie mir denn nicht zugehört? Was ist in diesem Jahr passiert? Hatte Ihr Sohn eine Freundin? Was ist aus ihr geworden? Wo ist sie jetzt?«
Ich kann einfach nicht ruhig sprechen. Verärgert beuge ich mich vor, nähere mich seinem Gesicht. »Warum bewahren Sie seine Geheimnisse?«
Tene hebt ein wenig den Kopf, doch sein Blick wandert an mir vorbei zum Fenster hinaus. »Sie ist die Mutter des Jungen.«
Ich zähle bis zehn, meine Faust liegt geballt auf dem Oberschenkel.
»Mr Janko, ich weiß, dass Sie es besser wissen! Und falls Sie es vergessen haben sollten, die Polizei untersucht die Leiche, die auf dem Black Patch gefunden wurde. Man wird sie identifizieren.Die Polizei weiß, dass Ivo verschwunden und was mit mir geschehen ist. Falls Sie etwas zu verbergen haben … falls Sie ihn beschützen wollen …«
»Mr Lovell, ich beschütze meinen Sohn nicht. Er befindet sich jenseits meines Schutzes. Ich kann Ihnen nur sagen, woran ich mich erinnere …«
Er verstummt und starrt auf irgendwelche Luftpartikel vor sich. Meine Beine zucken ungeduldig.
»Ich kann Sie nicht zum Reden zwingen, aber die Polizei ist vielleicht nicht so entgegenkommend.«
Er erzählt nicht, woran er sich erinnert. Er schweigt nicht nur, er bewegt sich auch nicht mehr. Selbst sein Atem ist kaum wahrnehmbar. Er scheint sich aus dieser Welt zurückgezogen zu haben, tief in sich hinein. Das überaktive Ticken der vergoldeten Uhr erfüllt den ganzen Wohnwagen. Es macht mich verrückt und vergegenwärtigt mir, wie viel Zeit verschwendet und verloren ist. Dass wir aufs Ende zurasen. Furcht überkommt mich.
»Mr Janko … Mr Janko? Alles in Ordnung? Mr Janko …«
Während mein Zorn verebbt, lege ich ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. Schüttle ihn.
»Tene … Können Sie mich hören? Tene! Bitte … können Sie mich hören?«
Er sitzt da wie eine Statue.
Ich springe auf, renne nach draußen und hämmere gegen die Türen der anderen Wohnwagen. Gleich darauf sind Sandra, JJ und Kath bei Tene, und ich werde weggedrängt, hinausgedrückt in den Sonnenschein wie Zahncreme aus der Tube. Ich laufe von einem Ende des Stellplatzes zum anderen. Ich weiß nicht, ob ich wütend auf Tene oder mich selbst sein soll. Ich bezweifle nicht, dass er ein guter Schauspieler ist, andererseits bin ich wirklich ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher