Was mit Rose geschah
gesagt.«
»Na ja, weil man es schnell vergisst.«
Sie ist natürlich ein Profi. Ich denke an David. Wie viel kann er wohl fühlen? Sie ist diejenige, die auf ihn aufpasst. Sie betrachtet meine Hand, berührt sie aber nicht. Ich frage mich, ob sie auch an ihn denkt.
Plötzlich erzähle ich ihr von meinem früheren Zimmergenossen Mike und seinem brandigen Fuß. Wie es ihm jetzt wohl geht? Fast als hätten wir die chaotischen Familienverhältnisse der Jankos ad acta gelegt und könnten uns jetzt wie ganz normale Leute über normale Dinge unterhalten. Nur, wie sie sagte, ist es nicht zu Ende.
»Ich muss Ihnen noch etwas sagen.« Ich räuspere mich verlegen.»Als wir mit Rose gesprochen haben, stellte sich heraus, dass sie nicht Christos Mutter ist.«
Lulu starrt mich an. »Was?«
»Sie ist nicht seine Mutter.«
»Natürlich ist sie das!« Lulu lächelt, hält es für einen Witz. Dann wird sie ernst. »Was soll das heißen? Das ist doch verrückt.«
»Rose sagte, sie hätte die Ehe mit Ivo nie vollzogen. Rose hatte kein Kind, weder damals noch später.«
Lulu sieht mich vorwurfsvoll an. Weil ich es verschwiegen habe. Weil ich mir zuerst ihr Mitgefühl erschlichen habe.
»Hat sie Ihnen das erzählt?«
»Ja.«
»Sie lügt.«
Ich schüttle den Kopf.
»Woher wollen Sie das wissen?«
Ich hole tief Luft. »Wir wussten es nicht. Also haben wir es überprüft. Rose hat weniger als ein Jahr nach ihrer Eheschließung mit Ivo wieder geheiratet. Sie hat ihn im Februar ’79 verlassen.«
»Nein! Es war 1980. Im Winter.«
»Sie hat ihren derzeitigen Ehemann am 13. August desselben Jahres geheiratet – 1979. Christo wurde sieben Wochen später geboren.«
Lulus Augen werden groß, die Haut um sie herum scheint Risse zu bekommen. Ihre Lippen sind trocken.
»Das kann nicht stimmen! Nein.«
»Das dachte ich auch, also habe ich es wieder und wieder überprüft. Es stimmt. Christo wurde doch im Oktober 1979 geboren, oder?«
Sie nickt widerwillig.
»Ich habe mit Leuten gesprochen, die auf der Hochzeit waren, im August 1979. Ich habe Hochzeitsfotos gesehen. Es besteht kein Zweifel. Sie kann nicht Christos Mutter sein.«
Lulu wirkt so verloren, dass ich mir wünsche, ich würde mich irren. Am liebsten würde ich alles zurücknehmen. Aber das geht nicht.
»Es tut mir leid, aber ich muss diese Frage stellen: Wissen Sie, wer Christos Mutter ist?«
Sie schaut mich an. In ihren Augen lese ich Zorn, Fassungslosigkeit, das Gefühl, verraten worden zu sein.
»Es tut mir leid, Lulu. Ich wünschte …«
Sie schüttelt leicht den Kopf, es ist eher ein Zittern als eine Zurückweisung. Ein Laut dringt aus ihrer Kehle. Sie stellt das Glas behutsam ab und vergräbt das Gesicht in den Händen.
»Ich hole Ihnen noch etwas zu trinken.«
»Nein! Ich muss gehen.«
Ihre Stimme klingt so wild, dass ich mich abwende. Als ich sie wieder anschaue, sieht sie mich über ihre Finger hinweg an. Dann richtet sie sich mühsam auf.
»Als Tene den Unfall hatte und ich die Familie im Dezember ’79 wiedergesehen habe, sagte Ivo, sie sei schon lange weg – ich dachte, er spricht von Wochen.«
»Ich bin auch nicht darauf gekommen, dass es ein ganzes Jahr gewesen sein könnte.«
»Aber wer ist dann die Mutter? Glauben Sie, sie liegt … auf dem Black Patch?«, wispert sie.
»Ich weiß es nicht.«
Lulu entschuldigt sich und geht zur Toilette – mitsamt ihrem Sack voller Geheimnisse. Ich schaue auf den Tisch vor uns, den Aschenbecher voller lippenstiftverschmierter Kippen, die Bierfilze mit den Gläserringen. Ihre schwarze Jacke hängt unordentlich über dem Stuhl, das billige Satinfutter ist verknittert. Ich kann es nicht ertragen. Wann immer ich sie sehe, reißt uns das Drama der Jankos einfach mit. Ich muss ihr Dinge sagen, die ihr wehtun. Doch es gibt etwas, irgendetwas zwischen uns – dünn, zerbrechlich, fast zum Zerreißen gespannt. Dessen bin ich mir so gut wie sicher. Aber was soll ich tun?
Dann greife ich spontan zu ihrem Glas mit dem zarten roten Lippenstiftrand und trinke rasch, bevor sie zurückkommt, den süßlichen Rest aus. Er riecht kaum noch nach Rum. So aber kann ich im Geist meinen Mund auf den ihren drücken.
49
Ray
Tene Janko hat sich sehr verändert. Er wirkt klein, seine Haut grauer und dünner, als hätte er seit meinem letzten Besuch die Sonne nicht mehr gesehen. Nicht zu fassen, dass ich ihn bei unserer ersten Begegnung als großen Mann empfunden habe.
»Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen«, fange ich an.
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