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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
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Schule fragt, war er noch nie so interessiert wie jetzt.
    »Lass bloß nicht zu, dass sie einen gorjio aus dir machen.«
    »Natürlich nicht.«
    »Ich bin froh, dass Christo zu dir und Sandra kommt. Ihr werdet das prima machen.«
    »Außer Onkel Ivo kommt zurück.«
    Bei diesen Worten knurrt Großonkel nur und pustet auf seinen Tee.
    »Meinst du, er kommt nicht zurück?«
    Er seufzt. Ich halte die Luft an.
    »Warum fragst du?«
    »Du bist sein Vater. Du kennst ihn besser als jeder andere.«
    Großonkel schüttelt langsam den Kopf. »Ivo kommt nicht zurück. Ich hätte nie versuchen sollen, ihn hier zu halten.«
    Ich wusste nicht, dass er das jemals versucht hat. Vermutlich soll es nur heißen, dass sie darüber geredet haben.
    »Weißt du, wo er ist?«
    »Nein«, flüstert er.
    Er lässt den Kopf hängen, als wäre dieser sehr schwer und könnte ihm den Hals brechen.
    Etwas oder jemand geht über mein Grab.
    »Ich liebe diesen Song«, sage ich laut, um das Thema zu wechseln. Das stimmt auch. Es ist eine wahre Geschichte. Der Mann, der ihn geschrieben hat, saß in New Orleans im Gefängnis, als ein Haufen Penner nach einem Mord verhaftet wurde. Er kam mit einem alten Kerl ins Gespräch, der ihm erzählte, wie er für Essen getanzt hatte und wie sein Hund überfahren wurde und dass es ihn so traurig gemacht hatte, dass er zum Alkoholiker wurde. Alle Penner hatten Spitznamen, damit die Polizei sie nicht identifizieren konnte, und dieser hieß Mr Bojangles.
    Ich denke lieber darüber nach als über die Frage, warum Großonkel so komisch mit mir redet. Als ich aufblicke, sieht er mich wieder auf eine Weise an, bei der sich alles in mir zusammenzieht.
    »Wir haben dir nie genügend Aufmerksamkeit geschenkt, oder?«, fragt er. »Das hätten wir aber tun sollen.«
    Ich verstehe nicht, was er meint. »Klar habt ihr das«, sage ich lächelnd, damit alles wieder normal wird.
    »Du warst ja die ganze Zeit da.«
    »Was? Was meinst du damit?«
    Doch Großonkel schüttelt den Kopf.
    Sammy kommt an die Stelle, wo er richtig loslegt und die Bläser und Violinen sich zu einem wunderbaren Höhepunkt steigern. Entsetzt sehe ich, wie ein Tropfen über Großonkels Wange rinnt und eine schimmernde Spur hinterlässt.
    »Was ist los, Großonkel? Geht es dir wieder schlecht?«
    Er schüttelt den Kopf. »Nein, mir geht es gut.«
    »Ganz sicher?«
    Er versucht, mich anzulächeln, obwohl seine Augen nass sind. »Ja. Es geht mir gut, mein Junge.«
    »Soll ich noch was für dich tun? Möchtest du noch einen Tee?«
    »Nein … gar nichts.«
    »Du bist sicher müde. Soll ich gehen?«
    Etwas scheint mich aus dem Wohnwagen zu drängen. Es ist furchtbar. Ich habe ihn noch nie so gesehen und weiß nicht, was ich machen soll.
    Er schaut zu mir auf. Wirkt unruhig. »Na ja, ich bin ein bisschen müde, mein Junge. Vielleicht sollte ich ein Nickerchen machen.«
    »Sicher?«
    Ich stehe lächelnd auf. Ich habe nicht vor, noch länger hierzubleiben. Wenn ich lächle, wird alles gut.
    Ich kehre in unseren leeren Wohnwagen zurück und schalte alle Lampen an, doch ich kann immer noch nicht ruhig sitzen. Ich schaue die Videos durch, finde aber nichts, was mir gefällt. Ich lege Musik auf und schalte sie sofort wieder aus, weil ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Ich hasse mich. Ich bin nutzlos und mies und vor allem unfreundlich. Großonkel ist krank und traurig, und ich bringe es nicht über mich, bei ihm zu bleiben. Ich bin ein richtiger Feigling, das ist die Wahrheit.
    Ich gehe nach draußen, laufe über den Stellplatz und quäle mich mit der Vorstellung, was gerade in seinem Wohnwagen passiert (unternehme aber nichts!), schaue zu seinen dunklen Fenstern, bin den Tränen nahe und warte, bis der Tag so weit verblasst ist, dass ich in meinem T-Shirt zittere und die Vögel aufgehört haben zu singen und ich keine Farben mehr erkennen kann.

51
    Ray
    Ohne jegliche Gefühlsregung habe ich gestern Abend die Scheidungspapiere unterzeichnet und den Umschlag fertig gemacht. Endlich blicke ich nach vorn, dachte ich. Es geht weiter.
    Heute Morgen aber hatte ich einen jener Träume, die realer wirken als die Wirklichkeit. Ich träumte, ich würde noch mit Jen in unserem Haus wohnen. Sie kam herein und stellte mir ganz beiläufig ihren Liebhaber vor. Es war Hen. An mehr kann ich mich nicht erinnern, nur an den Schock dieser Erkenntnis: das Gefühl, als risse eine Wunde in meiner Brust auf. Da nie etwas zwischen Jen und meinem Geschäftspartner gewesen ist – er war

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