Was mit Rose geschah
hat geregnet, und da hat sie mich zum Tee mitgenommen. Sie hat mir ihr Pferd gezeigt, daher wusste ich auch, wo ich hinmusste. Mir ist einfach nichts anderes eingefallen.«
Stella hob die Augenbrauen, als würde sie mir nicht ganz glauben. »Und …?«
»Und, ähm, wir haben uns geküsst. Einmal. Das ist schon alles. Du weißt ja, wie sie in der Schule ist. Sie hat danach nicht mehr mit mir geredet.«
»Du stehst also auf sie.«
Ich wollte nein sagen, aber das würde sie wohl auch für eine Lüge halten.
»Ja, irgendwie schon … aber das ist vorbei. Und wir waren nie befreundet. Ich habe dich immer lieber gemocht als alle anderen. Ich dachte nur, es gebe keine … du weißt schon, Hoffnung.«
»Oh.«
Stella schaute aus dem Fenster und saugte an ihrem Strohhalm. Ihr Glas war fast leer und machte ein gurgelndes Geräusch. Ich saugte an meinem Strohhalm, der noch lauter gurgelte. Da musste sie lachen, und ich konnte mitlachen.
»Es gibt immer Hoffnung«, sagte sie und sah in ihr Glas.
Beim Begräbnis trage ich einen neuen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte, was sich sehr komisch anfühlt. Aber alle sind schwarz gekleidet und sehen elegant aus – die ganze Familie und Dutzende anderer Leute, die ich kaum oder gar nicht kenne und die in die Kirche gekommen sind, um Großonkel die letzte Ehre zu erweisen. Sie schütteln Großmutter und Tante Lulu, den Hauptleidtragenden, die Hand. Großonkels andere Schwester Sibby ist nicht aus Irland gekommen, weil sie Arthritis hat, aber sie und ihr Mann haben einen Kranz in Form eines Rollstuhls geschickt, der aus roten und weißen Blumen besteht. Es gibt ziemlich viele Kränze. Dasüberrascht mich. Ich hätte nie gedacht, dass Großonkel so viele Freunde hatte, aber diese Menschen müssen ihn gemocht haben. Es ist nicht wie eine dieser Beerdigungen, bei der sie stundenlang den Verkehr anhalten müssen, weil der Trauerzug so lang ist, aber es sind schon einige gekommen.
Manche geben auch mir die Hand und murmeln, wie sehr sie es bedauern oder dass es ein Segen sei und er nun seinen Frieden habe. Manche erwähnen das viele Unglück, das er gehabt hat. Keiner von ihnen weiß, dass er sich umgebracht hat. Einige ältere Leute behaupten, ich sähe ihm ähnlich. Eine ältere Frau greift mit beiden Händen in meine Haare – kein Witz, dabei weiß ich nicht mal, wer sie ist – und nennt mich sein Ebenbild. Danach beklage ich mich bei Mama, und sie sagt, natürlich sei ich nicht sein Ebenbild, ich hätte nur die Haar- und Hautfarbe von ihm. Sie sagt, Leute würden eben so daherreden – und wenn ich mehr Cousins hätte, dürften sie sich vermutlich das Gleiche anhören, aber ich bin nun mal der einzige.
Christo ist noch im Krankenhaus, aber wir hätten ihn sowieso nicht mitgebracht. Jetzt wird es mir auf einmal klar: Für ein Zigeunerbegräbnis sind hier sehr wenige junge Leute und Kinder. Normalerweise rennen überall Kinder herum, es wimmelt von Cousins und so weiter. Aber nicht in unserer Familie. Ich bin sozusagen der letzte Mohikaner. Ich und Christo.
Ich frage mich – vermutlich wie wir alle –, ob Ivo auftauchen wird. Vielleicht verkleidet oder so. Ich schaue mich im Trauerzug um und sehe die Leute, die ich nicht kenne, prüfend an. Aber ich entdecke weder ihn noch jemanden, der ihm auch nur entfernt ähnlich sieht.
Ich frage mich, ob er überhaupt weiß, dass sein Vater tot ist.
57
Ray
Letzten Endes gibt die Aussicht, Lulu zu treffen, den Ausschlag. Immerhin hat sie mich angerufen, um mir zu sagen, wann und wo Tenes Beerdigung stattfindet. Als sie mir erzählte, wie er gestorben ist, schwiegen wir beide. Ich spürte, wie aufgewühlt sie war. Ich überlegte, ob sie ihn vor seinem Tod noch einmal gesehen hatte, wollte aber nicht danach fragen.
Ich fahre nach Andover und finde die katholische Kirche aus rotem Backstein inmitten eines Wohngebietes aus der Nachkriegszeit. Ich trage einen alten dunkelblauen Anzug, den ich zuletzt bei Eddies Beerdigung anhatte. Offensichtlich habe ich in der Zwischenzeit abgenommen und das hebt meine Laune ein wenig. Insgesamt bin ich froh, dass er nicht mehr hier ist und mit ansehen muss, was für ein Durcheinander ich angerichtet habe.
Ich warte im Auto, bis fast alle in der Kirche sind, und schleiche mich dann hinein. Vorn sehe ich die Familie, darunter auch Lulu. Sie dreht sich nicht um. Hinten ist es ziemlich voll, und ich finde mich in einem Gewühl von Männern, die verschlissenes Schwarz tragen und
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