Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stef Penney
Vom Netzwerk:
»Nein.«
    »Lulu!«
    Schritte eilen herbei.
    Es ist Sandra in ihrem engen schwarzen Kostüm, die unbarmherzig auf uns zukommt, die Augen rot verweint. Sie bleibt ein Stück vor uns stehen und weicht meinem Blick aus.
    »Hallo, Mr Lovell. Mutter gibt keine Ruhe, Lu. Fährst du nun mit uns? Alle anderen sind schon weg.«
    »Ja, ich komme.«
    Sie wendet sich zu mir und tritt gleichzeitig zurück. Mir ist, als hätten wir wieder den falschen Schritt getan. Die Entfernung zwischen uns wächst.
    Sie lächelt, ein unverbindliches, neutrales Lächeln. »Auf Wiedersehen. Danke, dass Sie gekommen sind.«
    »Ja … Es war schön, Sie zu sehen.«
    Ich folge ihr zurück zum Haupttor, bis mir ihr nervöser Schritt verrät, dass sie nicht mit mir gesehen werden möchte.
    »Ich rufe Sie an … ja?«
    Ich sage es nicht sehr laut, eher zu mir selbst. Ich weiß nicht,ob sie es hört. Sie senkt den Kopf; ich hoffe, dass es ein Nicken ist, bin mir aber nicht sicher, und im nächsten Moment ist sie um eine Ecke verschwunden. Verloren bleibe ich zwischen den Grabsteinen stehen. Das lakonische Geplauder der Trauergäste ist verklungen. Ich bin der einzige Lebende hier.

58
    JJ
    Jetzt sind alle weg. Wir haben schon gepackt und sind bereit zum Losfahren. Großmutter und Großvater wollen auf einen Stellplatz in Kent, wo Verwandte von ihm leben. Jedenfalls fürs Erste. Mama und ich werden bei Tante Lulu unterkommen, bis unser Haus fertig ist – es dauert nur noch ein paar Wochen. Mama hat einen Käufer für den Wohnwagen gefunden. Bis dahin bleibt Christo im Krankenhaus. Ab nächste Woche gehe ich auf die neue Schule in London. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie mein Leben demnächst aussehen wird.
    Wir haben Großonkels Wohnwagen ausgeräumt. Das Porzellan und die silbernen Bilderrahmen haben wir in ein Antiquitätengeschäft gegeben. Ich habe Großvater dabei geholfen, ein paar von den anderen Sachen in seinen Lkw zu laden – das Alltagsgeschirr, die Metalldosen, Besteck, alle schweren Sachen und alle, die nicht brennen … und spätabends sind wir zu einer Brücke über den Itchen gefahren und haben alles hineingeworfen. Es war niemand in der Nähe. Man wirft es einfach rein, es versinkt und ist verschwunden.
    Nur eins müssen wir noch machen, und das haben wir bis zur letzten Minute aufgeschoben, weil der Bauer, dem der Stellplatz gehört, es nicht wissen darf.
    Alles, was Großonkel gehört hat – seine Kleidung, die Schallplatten, das Radio, das Bettzeug … sogar die Fotos, obwohl Mama einige herausgesucht und in eine Schublade gelegt hat –, ist im Wohnwagen, als wäre er noch da. Großvater geht hinein und schüttet Benzin darüber. Dann kommt er wieder raus undschließt die Tür. Ich kann kaum atmen, habe Angst, dass etwas schiefgeht. Mir ist schlecht.
    Er steigt in den Lkw, an den Wohnwagen Nummer eins angehängt ist. Großmutter fährt den Landrover mit Nummer zwei. Und Mama und ich sitzen im Van, der unseren Wohnwagen zieht. Zum ersten Mal seit Monaten wird er bewegt. Wir fahren langsam den Feldweg entlang, es ist niemand zu sehen. Mein Herz rast wie verrückt. Es ist, als bekäme ich gleich einen Infarkt.
    Als wir ein Stück die Straße entlanggefahren sind, hält Großvater an. Es ist so dunkel, dass man kaum etwas sehen kann, aber allmählich erkenne ich Rauch, der über den Bäumen aufsteigt. Dünn und blass hebt er sich vom dunkelblauen Himmel ab, wird dann aber dichter und schwärzer. Genau wie letztes Mal.
    Mit aufheulendem Motor fährt Großvater davon. Wir folgen ihm.

III
Bürgerliche Dämmerung
    Morgen

59
    Ray
    Sie sagte: »Psst.«
    Sonst nichts.
    Ich sah nichts. Ich konnte nichts sehen. Denn sie hielt mir die Augen zu.
    Aber ich konnte riechen; ich konnte schmecken.
    Rauch in meinen Nasenlöchern.
    Asche in meinem Mund.
    Sie muss mich geküsst haben.
    Eine lächerliche, hilflose Lust durchflutete mich. Vor lauter Euphorie verschwamm alles; ein Feuerwerk aus Scopolamin – das, vermute ich, ist es gewesen. Aber ich weiß, dass sie wirklich war. Es ist eine Erinnerung, keine Sinnestäuschung. Sie entlockte mir ein gestammeltes Geständnis. Doch an dieser Stelle zerfällt die Erinnerung, löst sich auf in Angst und Nebel. Ein plötzliches Bild in meinem Kopf und die Stimme von Tene Janko: das neunte Kind, Poreskoro, Hund und Katze, Mann und Frau, weder das eine noch das andere. Das ist natürlich keine Erinnerung, wie wäre das möglich?
    Also bleibt mir nur eins: Wie ein dummer treuer Hund klammere ich

Weitere Kostenlose Bücher