Was mit Rose geschah
schlechten Meinung von Ivo. Ich muss zugeben, dass ich mich an die Vorstellung klammerte, es könnten Ivos verbrannte Überreste sein, selbst nachdem man uns gesagt hatte, dass es sich um die Leiche eines älteren Mannes handelte, die Großonkels Ringe trug.
Die Polizei erzählte uns, was ihrer Meinung nach geschehen war. Mama und ich waren früh am Morgen nach London gefahren, um mit Christo in den Zoo zu gehen. Um die Mittagszeit beschlossen Großmutter und Großvater, Freunde zu besuchen. Sie wollten Großonkel mitnehmen, aber er weigerte sich und bestand darauf, dass sie ohne ihn fuhren. Also ließen sie ihn allein zurück, obwohl es ihm in letzter Zeit nicht gut gegangen war. Dazu sagte ich nichts, obwohl ich wütend auf sie war, aber ich bin ja auch nicht besser. Als er allein war, fuhr er zu Ivos Wohnwagen, ließ den Rollstuhl draußen stehen und zog sich die Stufen hinauf. Dann goss er Benzin über die Polster, schaltete das Gas ein und entzündete ein Streichholz. Sie fanden ihn auf dem Boden neben dem Herd. Er sei am Rauch erstickt, sagten sie, bevor er verbrannte, und er habe keine Schmerzen gespürt.
Ich weiß nicht, ob sie das wirklich wissen können oder ob siees nur sagen, damit es für uns nicht so schlimm ist. Eins konnte uns aber niemand sagen: weshalb er sich in Ivos Wohnwagen geschleppt hatte, statt in seinem zu bleiben. Ich frage mich, ob er so wütend auf Ivo war, dass er die letzten Spuren von ihm verbrennen oder ob er irgendwelche Beweise vernichten wollte – etwas, das mir entgangen war. Wir suchten in seinen Sachen nach Hinweisen oder Gründen oder irgendetwas. Aber wir fanden nichts. Gar nichts.
Das heißt also, er hat es absichtlich getan. Er wollte sich töten. Großmutter wollte das nicht wahrhaben. Sie verbot mir, mit irgendjemandem darüber zu sprechen, was die Polizei gesagt hatte.
»Immerhin wissen wir nicht, ob es nicht doch ein schrecklicher Unfall war. Es ist furchtbar, dass es heißt, er hätte es gewollt. Niemand weiß das. Die Polizei hat ihn nicht gekannt«, sagte Mama.
Ich sah sie an, merkte, dass sie ebenso wenig wie ich an einen Unfall glauben konnte. Aber wir schwiegen.
Ich bin mir nicht sicher, aber ich erinnere mich an das letzte Mal in seinem Wohnwagen, als er so komisch war. Manche Dinge, die er sagte, kommen mir jetzt wie ein Abschied vor. Ich hatte ihn zuvor noch nie weinen sehen. Und während ich Ivo für einen Feigling halte und ihn verachte, weil er weggelaufen ist und uns mit dem ganzen Chaos allein gelassen hat, empfinde ich es bei Großonkel anders. Er hatte niemanden, der auf ihn angewiesen war. Er war alt. Er saß im Rollstuhl. Er hatte so viel durchlitten, dass man es kaum fassen kann, und dann kam auch noch eine neue Krankheit hinzu. Ich weinte. Hätte ich etwas ändern können, wenn ich damals noch einmal zu ihm in den Wohnwagen gegangen wäre? Diese Frage konnte niemand beantworten, weil ich sie nicht laut aussprach.
So etwas macht schnell die Runde. Und bei uns geht das besonders schnell. Wir mussten ihn aufbahren, weil die Leuteihm die letzte Ehre erweisen wollten, aber das war gar nicht so einfach, weil die Polizei die Leiche mitgenommen und behalten hatte. Es würde eine Untersuchung geben. Außerdem kam es zu einem Riesenstreit wegen des Wohnwagens.
Großonkels Wohnwagen war nach seinem Tod mokady , obwohl er nicht in ihm gestorben war. Tante Lulu kam zwei Tage nach dem Feuer zu uns und sagte, dass alte Westmorlands wie seiner viel wert seien und wir ihn umgehend verkaufen sollten. Das Geld könnten wir für Christo weglegen, der es gut gebrauchen kann und außerdem Großonkels einziger Nachkomme ist. (Ivo rechne ich nicht ein, weil er verschwunden ist.) Großmutter wurde richtig wütend und sagte, der Wohnwagen müsse verbrannt werden, man hätte ihn schon vor Jahren verbrennen sollen, nachdem Großtante Marta gestorben war. Im Grunde hätte man ihn schon verbrennen sollen, nachdem ihre ersten beiden Söhne gestorben seien. Oder spätestens, als Christina starb. Wäre es nach Großmutter gegangen, hätte man diesen Wohnwagen schon viermal verbrennen müssen, und deswegen ist er viermal mokady . Im Grunde ist er dermaßen mokady , dass wir alle sterben werden, wenn wir ihn diesmal nicht verbrennen. Ich habe Großmutter schon öfter wütend erlebt, aber noch niemals so wie jetzt. Lulu war auch wütend. Sie sagte, wenn Großonkel (den sie jetzt »unseren Bruder« nennen, statt seinen Namen auszusprechen) ihn nach Martas Tod behalten wollte,
Weitere Kostenlose Bücher