Was mit Rose geschah
hätte ich sie gerettet, indem ich sie fand.
Dafür kam ich viel zu spät.
13
Ray
Die Stichstraße zweigt von der A32 nicht weit von Bishop’s Waltham in Hampshire ab. Die Straße senkt sich hinter einer Schneise, die Zufahrt liegt halb versteckt hinter überwucherten Hecken. Über sie gelange ich zu einem Waldgrundstück. Ein Gürtel aus immergrünen Pflanzen dient als Windund Sichtschutz. Man muss durch eine schmale Öffnung fahren, um auf den Stellplatz zu gelangen, auf dem die Jankos leben. Hätte man mir nicht gesagt, dass hier die Wohnwagen stehen, hätte ich sie nie entdeckt. Ich weiß, dass sie das Land von einem Bauern gemietet haben; hier ist es ganz anders als auf dem städtischen Stellplatz, auf dem ich Kizzy Wilson besucht habe. Hier stehen die Wohnwagen – insgesamt fünf – in einem lockeren Kreis, die Anhängerkupplungen nach außen gerichtet. Dazwischen wachsen vereinzelt Büsche, und nur die Mitte mit der Feuerstelle ist frei. Hinter den Wohnwagen parken ein ziemlich neuer BMW und ein Landrover. Es muss weitere Fahrzeuge geben, davon zeugen tiefe Fahrrillen im Schlamm. Neben der Zufahrt stapeln sich Müllsäcke, ansonsten ist es ziemlich aufgeräumt. Kein Mensch ist zu sehen. Auch keine Hunde. Ich höre das Summen eines kleinen Generators, und aus einem Schornstein kräuselt sich leichter Rauch.
Ich steige aus, schließe die Tür und warte, dass etwas passiert.
Im größten Wohnwagen, an dem Lack und Chrom nur so glitzern, geht die Tür auf, und eine kleine stämmige Frau von Ende fünfzig tritt heraus, schwarz gefärbtes Haar, dickes Make-up,Hosenanzug in Braun und Cremeweiß. Sie hält eine Zigarette in der Hand.
»Das hier ist ein Privatgrundstück. Zutritt verboten.«
»Hallo, ich heiße Ray Lovell. Ich suche nach Ivo und Tene Janko. Ich habe erfahren, dass sie hier sein könnten.«
Sie mustert mich einen Moment. »Ach ja? Und wer hat das gesagt?«
»Tenes Schwester Luella.«
»Lulu? Guter Gott! Sie haben Lulu gesehen?«
»Hm, ja.«
»Wie heißen Sie doch gleich?«
»Ray Lovell. Sind Sie Mrs Smith?«
Ihr Mund zuckt – offenbar will sie nicht antworten. »Worum geht es?«
»Na ja, ich versuche, Rose Wood zu finden – Ivos Frau.«
»Verdammt. Sie ist nicht hier, Sie verschwenden Ihre Zeit.«
»Ich weiß, es ist lange her. Ich möchte aber gern mit den beiden sprechen. Ich bin Privatdetektiv. Ich spreche mit allen, die sie kennen.«
Sie scheint einen Moment zu überlegen, einen Moment, in dem sie mich prüfend mustert. Zweifellos hat sie meinen Namen registriert, doch sie erkennt meine Herkunft auch an meinem Äußeren. Ich muss daran denken, was Leon gesagt hat, und wie recht er hatte: Ein gorjio hätte keine Chance.
Endlich sagt sie: »Moment«, und geht zu dem Wohnwagen, der am weitesten von der Zufahrt entfernt steht. Ich schaue mich um, während ich warte. Die Frau, vermutlich Kath Smith, ist aus dem größten und teuersten Wohnwagen gekommen. Der, den sie jetzt betritt, ist älter; ein Westmorland Star aus den sechziger Jahren, etwa sechs Meter lang. Die anderen drei sind kleiner und vergleichsweise bescheiden. Ich frage mich, ob mich jemand beobachtet. Meist ist auf solchen Stellplätzen viel los, lauter Kinder und Hunde, aber hier habe ich weder das eine noch das andere gesehen. Ich bin neugierig, will aber nicht zuoffensichtlich herumschnüffeln. Es wäre unhöflich, also warte ich neben meinem Auto, bis sie wieder auftaucht und mich hereinbittet.
Drinnen kommt es mir vor, als wäre ich in eine andere Zeit getreten.
Im Wohnwagen ist es dämmrig, Netzgardinen verdecken die Fenster, und es riecht ein bisschen nach Teer. Der Küchenbereich ist kahl, doch im Ofen brennt ein Feuer, und es ist warm und stickig im Raum. Hinten, genau in der Mitte des großen Fensters, sitzt ein älterer Mann an einem Klapptisch. Er scheint zu groß für den Raum, vielleicht aber ist es auch der ganze Nippes, der den Wohnwagen so voll wirken lässt – auf den oberen Regalen stehen Porzellan und Kristallglas, und fast jeder Zentimeter der holzverkleideten Wände ist mit Fotos, Ziertellern und Bildern behängt.
»Bitte verzeihen Sie, wenn ich nicht aufstehe – bin nicht mehr so agil wie früher.«
Tene Janko hat dichtes dunkelgraues Haar, das aus der Stirn zurückgekämmt ist und lockig bis auf den Kragen fällt. Dunkelbraune Augen, ein angenehm verwittertes Gesicht und ein dicker Schnurrbart. Die tiefen Falten um die Augen lassen ihn humorvoll wirken. Er sieht aus wie ein
Weitere Kostenlose Bücher