Was mit Rose geschah
Sie versucht, sie zu finden?«
Er zuckt mit den Schultern. »Sie ist mit einem anderen Mann weggelaufen. Man kann Leute nicht zwingen, oder?«
In diesem Augenblick kommt Kath mit einer Flasche und einem Tablett zurück. Üppig bemaltes und vergoldetes Porzellan, eine Kristallschüssel mit Würfelzucker und Teller, auf die Kekse gehäuft sind. Sie stellt das Tablett vor Tene auf den Tisch und gießt den Tee in die hauchdünnen Tassen. Dann knallt sie die Brandyflasche auf den Tisch und geht wieder.
»Und natürlich ist mein Enkel krank. Seit seiner Geburt.«
»Das tut mir leid. Ihre Schwester Luella hat es erwähnt. Was hat er denn?«
»So eine … Blutgeschichte.«
»Ich verstehe nicht – was für eine Blutgeschichte?«
»Eine Krankheit im Blut. Er wurde damit geboren. Andere in der Familie haben schon darunter gelitten. Es gibt keine Heilung.«Er macht eine Handbewegung, als wäre es zu schmerzhaft, darüber zu sprechen. Dann schraubt er die Brandyflasche auf und schenkt uns beiden ein kleines Glas ein.
»Es werden ja immer wieder neue Heilmittel entdeckt … danke … vielleicht auch für ihn.«
Tene nickt und schaut auf den Tisch. Sein Gesichtsausdruck wirkt tragisch.
»Es muss für Sie alle sehr schwer sein.«
»Ja, aber wir müssen dem Beispiel unseres Herrn folgen, nicht wahr? Unsere Last tragen, ohne uns zu beklagen. Nicht davor weglaufen.«
»Ist es das, was Rose gemacht hat?«
»Manche Leute haben nicht die Kraft.«
»Können Sie sich an die genaue Reihenfolge der Ereignisse erinnern? Wann sie genau weggegangen ist? Wie alt das Baby war?«
Er schüttelt mit einem tiefen theatralischen Seufzer den Kopf.
»Es wäre eine große Hilfe. Wo hatten Sie damals Ihren Stellplatz? Hier in der Nähe?«
»Ich denke, wahrscheinlich war es … im Winter. Es war kalt. Black Patch, ein guter Stellplatz – bevor er verkauft wurde. Genau, da war es, oben bei Seviton.«
Ich nicke. Ich kenne den Platz nicht, doch früher gab es Hunderte von Stellplätzen auf Gemeindeland oder auf Privatgrundstücken, die toleranten Bauern gehörten. In den letzten zwanzig, dreißig Jahren wurden die meisten von Bauunternehmern aufgekauft. Oder die Stadtverwaltungen ließen keine Leute mehr kampieren, weil sich die Einheimischen ständig beschwerten.
»Wann ist Ihr Enkel geboren?«
»Am 25. Oktober. Er war erst ein paar Monate alt, als sie gegangen ist. Fünf Monate oder vier … so in der Richtung.«
»War seine Krankheit da schon bekannt?«
»Ja. Oh ja. Er wäre fast gestorben. Wir mussten ihn ins Krankenhaus bringen.«
»Und wie lange danach ist sie weggegangen?«
»Ein paar Monate … vielleicht auch weniger. Ich kann mich nicht erinnern.«
Ich notiere mir alles.
»Ist irgendetwas passiert, bevor sie weggelaufen ist? Hatte sie Streit mit ihrem Mann?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass sie eines Morgens nicht mehr da war. Sie ist einfach weggegangen, hat Christo und uns alle zurückgelassen.«
»Christo ist Ihr Enkel? Hat sie ihre Kleidung mitgenommen? Persönliche Dinge?«
»Kleidung hat sie natürlich mitgenommen. Sie wird ja kaum nackt gegangen sein, oder?« Er lacht verlegen, als wäre es eine schockierende Indiskretion, die Nacktheit einer Frau zu erwähnen.
»Wenn jemand viele Dinge mitnimmt – Kleidung, Geld, persönliche Sachen –, ist die Sache meist von langer Hand geplant.«
»Sie hat fast alles mitgenommen, was sie besaß … ja, es war wohl tatsächlich geplant.«
Ich schüttle meine Hand, um den kleinen Krampf vom Schreiben aufzulösen. »Können Sie sich an die Namen ihrer Freundinnen erinnern? Oder ihrer Bekannten?«
Tene zuckt wieder mit den Schultern. »Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Sie hat sich ab und zu den Wagen geliehen und ist weggefahren, aber ich weiß nicht, wohin. Ich glaube nicht, dass sie sich mit jemandem getroffen hat.«
»Rose war eine richtige Romany, oder?«
»Ja.«
»Ich glaube, sie war ein schüchternes Mädchen. Laut ihrer Familie hatte sie nicht viele Freunde … Daher frage ich mich, wo sie einen gorjio hätte kennenlernen sollen.«
»Ich weiß nicht, Mr Lovell. Aber sie ist weggegangen, nachdem wir das mit Christo herausgefunden haben; damals istes gewesen. Sie kam nicht damit zurecht. Sie muss jemanden kennengelernt haben.«
»Aber Sie dachten, er sei ein gorjio gewesen. Das hat … Ihre Schwester jedenfalls gesagt. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?«
Plötzlich beugt sich Tene vor, die Hand auf dem Tisch ballt sich zur Faust. Es ist
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