Was nach dem koeniglichen Ball geschah
Mann in die Flucht schlagen. Aber Sam lachte. Sein tiefes, angenehmes Lachen ging Anne durch und durch, und plötzlich wurde ihr ganz warm. „Ich hatte eher gemeint, dass Schwarz Ihren zarten Teint sehr vorteilhaft betont.“
„Oh, danke schön.“
Als ein langsames Lied gespielt wurde, sah Anne, wie der geheimnisvolle Fremde ihre Schwester dichter an sich zog. Für Annes Geschmack etwas zu dicht.
„Kennen Sie den Mann, der mit meiner Schwester tanzt?“, erkundigte sie sich und deutete mit dem Kinn auf das Paar.
„Das ist Garrett Sutherland, der reichste Grundbesitzer der Insel. Mich überrascht, dass Sie ihn nicht kennen.“
Der Name kam Anne bekannt vor. „Ich habe von ihm gehört. Ich glaube, meine Brüder haben seinen Namen schon mal erwähnt.“
„Sieht so aus, als wären er und Ihre Schwester ziemlich gut miteinander bekannt.“
„Das ist mir auch aufgefallen.“
Er bemerkte, wie Anne ihre Schwester beobachtete. „Sie haben ein Auge auf sie?“
Sie nickte und sah zu Sam. „Jemand muss das schließlich tun. Sie ist manchmal ziemlich leichtgläubig.“
Daraufhin lächelte Sam. Wieder war Anne von seinen Grübchen wie verzaubert, und am liebsten hätte sie ihn auf der Stelle geküsst. „Und wer hat ein Auge auf Sie?“, fragte er.
„Niemand. Ich bin absolut in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.“
Er zog sie enger an sich. Dabei lächelte er erneut, sodass Anne wieder heiß wurde. „Sind Sie sich da sicher, Eure Hoheit?“
Flirtete er etwa mit ihr? Männer flirteten niemals mit ihr – es sei denn, sie waren lebensmüde. Samuel Baldwin war ein tapferer Mann. Anne wurde bewusst, dass ihr das gefiel. Sie mochte das Gefühl, das in ihr aufstieg, wenn seine Hand auf ihrem Rücken lag. Wenn ihre Brüste an seinen muskulösen Brustkorb drückten. Sie war noch nie das gewesen, was man als eine besonders sinnliche Frau bezeichnete – obwohl sie einem heißen, kurzen Abenteuer noch nie abgeneigt gewesen war. Doch als sie Sam jetzt so nah war, erwachten Gefühle in ihr, von deren Existenz Anne bis jetzt keine Ahnung gehabt hatte. Oder lag es vielleicht doch am Champagner?
Nein. Der Alkohol war bestimmt nicht verantwortlich für die heiße Begierde, die in ihr emporstieg. Er war auch nicht verantwortlich für das starke Verlangen danach, sich mit Haut und Haaren auszuliefern. Für den Wunsch, Sam einfach die Kleidung vom Leib zu reißen und ihn überall zu berühren. Was er wohl tun würde, wenn sie ihm die Arme um den Nacken schlingen und ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund geben würde? Seine Lippen sahen so unwiderstehlich sinnlich aus, und Anne hätte liebend gern gewusst, wie sie sich anfühlten – wonach sie schmeckten.
Sie wünschte, sie würde den Mut aufbringen, es zu tun – hier und vor all den Leuten. Wäre sie doch nur ein wenig mehr wie Louisa, die gerade seelenruhig Arm in Arm mit ihrem Tanzpartner in den Garten ging, obwohl alle Gäste ihnen nachsahen.
Vielleicht war es an der Zeit, dass Louisa lernte, auf sich aufzupassen. Zumindest für heute Abend. Denn von diesem Moment an würde sie auf sich allein gestellt sein.
Lächelnd wandte Anne sich an Sam. „Mich freut es, dass Sie an diesem Wohltätigkeitsball teilnehmen. Gefällt es Ihnen hier?“
„O ja, sehr. Tut mir leid, dass der König nicht hier sein kann.“
„Ihm stehen einige Eingriffe bevor. Deshalb darf er sich nicht dem Risiko einer Infektion aussetzen. Sein Immunsystem ist immer noch sehr instabil.“
Ihre Geschwister gingen alle davon aus, dass der König sich wieder erholen würde, doch Anne bezweifelte das. In der letzten Zeit hatte ihr Vater so blass und antriebslos gewirkt, dass sie fürchtete, er habe den Lebenswillen verloren.
Obwohl der Rest der Familie voller Hoffnung war, glaubte Anne, dass ihr Vater schon sehr bald sterben würde.
Tiefe Trauer befiel sie bei diesem Gedanken. Verzweifelt versuchte sie, die Tränen und das Schluchzen zurückzuhalten – erfolglos. Eigentlich verlor sie nie die Beherrschung, vor allem nicht in der Gegenwart anderer. Doch der Champagner hatte wohl einen verheerenden Einfluss auf ihre Gefühlswelt. Von einer Sekunde auf die andere stand sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch und konnte nichts dagegen tun.
Nicht hier, flehte sie stumm. Bitte nicht hier vor all den Leuten.
„Anne, geht es Ihnen gut?“ Sam betrachtete sie besorgt. Sein Mitgefühl war fast zu viel für Anne.
Als sie sich auf die Lippe biss und den Kopf schüttelte, reagierte Sam prompt.
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