Was nach dem koeniglichen Ball geschah
ihre Schwiegermutter. „Bitte. Es gibt keinen Grund, dich zu entschuldigen. Sam hat erklärt, wie schwierig es für dich mit den Sicherheitsmaßnahmen ist. Du und deine Familie seid ja beinahe Gefangene in eurem Schloss.“
Das stimmte, war aber nicht der Grund für ihre Abwesenheit. Sam hatte seine Eltern geradeheraus belogen. Anne dachte traurig, dass es für ihn anscheinend in Ordnung war zu lügen, wenn es seinen Zielen diente. Doch wenn sie nicht immer ganz aufrichtig war, war das in seinen Augen ein Verbrechen. Allmählich war sie es leid, ständig mit der Angst davor zu leben, etwas falsch zu machen.
„Ich hoffe, dass der Mann bald gefasst wird, der euch bedroht hat“, fügte ihre Schwiegermutter hinzu. „Sie sollten ihn wegsperren und den Schlüssel fortwerfen.“
Es war seltsam, aber seitdem sie wusste, dass es sich um Geoffreys Sohn handelte, der schwer gestört war, empfand Anne keinen Hass mehr auf ihn. Stattdessen tat er ihr furchtbar leid. Natürlich wollte sie immer noch, dass er gefasst wurde – aber nur, damit er die Hilfe bekam, die er brauchte. Sie hatte eine vage Vorstellung von den Schrecken, die er während seiner Zeit bei der Armee hatte durchleben müssen. Und dann hatte man ihm jede Hilfe verweigert – das fand sie unverantwortlich.
„Er ist ein gestörter Mann, der dringend psychologische Betreuung braucht“, sagte Anne. „Wir werden alle erleichtert sein, wenn man ihn endlich gefasst hat.“
Sams Vater kam zu ihnen ins Zimmer. „Ich habe mir schon gedacht, dass ihr zwei hier seid. Das Essen ist fertig.“
Möglicherweise litt sie unter Wahnvorstellungen, aber Anne konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas Unheilvolles in der Luft lag. Sams Eltern wirkten irgendwie ängstlich. Das Essen bestand aus einem traditionellen englischen Eintopf, der so lecker war, dass Anne noch Nachschlag nahm. Nach dem Dessert gingen sie ins Wohnzimmer, um einen Brandy zu trinken – Anne entschied sich für Mineralwasser. Nachdem sie ihre Getränke eingeschenkt bekommen hatten und das Dienstmädchen den Raum verlassen hatte, sagte Sam zu seinen Eltern: „So, sprechen wir jetzt über das, was euch anscheinend Sorgen bereitet?“
Offensichtlich war Anne nicht die Einzige gewesen, der aufgefallen war, dass etwas nicht stimmte.
„Wir müssen euch etwas sagen“, begann sein Vater und nahm die Hand seiner Frau.
Anne wurde das Gefühl nicht los, dass es keine guten Nachrichten waren. Sam schaute stirnrunzelnd seine Eltern an. „Was stimmt denn nicht?“
„Ich bin vor ein paar Wochen bei meinem jährlichen Gesundheitscheck gewesen. Dabei hat man herausgefunden, dass meine Prostata vergrößert ist. Nach einigen Tests hat man festgestellt, dass es sich um Krebs handelt. Wie auch immer“, fügte er rasch hinzu, „es ist erst im Frühstadium und nicht besonders bösartig.“
„Der Arzt rät noch nicht einmal zu einer Operation“, fügte seine Frau hinzu. „Er meint, dass dein Vater nach ein paar Bestrahlungen wieder so gut wie neu sein wird.“
Anne spürte, wie Sams Anspannung wich. „Das ist toll!“, sagte er erleichtert. „Es hätte schlimmer kommen können, oder?“
„Viel schlimmer.“
„Aber ihr habt doch noch etwas anderes, habe ich recht?“
Seine Eltern tauschten einen Blick aus. Dann antwortete sein Vater: „Ich habe meiner Gesundheit zuliebe beschlossen, in den Ruhestand zu gehen.“
„Ruhestand? Aber du liebst doch deinen Beruf als Premierminister. Was willst du tun?“
„Zur Abwechslung mal entspannen. Und um die Wahrheit zu sagen: Ich bin die Politik allmählich leid. Die langen Arbeitszeiten und ständigen Konflikte. Ich trete zurück, und der stellvertretende Premierminister übernimmt mein Amt für die letzten sechs Monate meiner Dienstzeit.“
Anne spürte förmlich, was Sam durch den Kopf ging. Wäre er nicht ihretwegen verheiratet, dann wäre er der Nachfolger seines Vaters. Denn von allen möglichen Kandidaten wäre er der mit den besten Qualifikationen. Er würde Premierminister werden, wie er es sich immer gewünscht hatte.
Doch das würde niemals geschehen. Und das alles war ihre Schuld.
Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein, aber sie hätte schwören können zu spüren, wie Sams Gefühle für sie wieder abrupt erstarben. Nur ein Gedanke beherrschte sie: Mein Gott, jetzt fängt das wieder an.
„Ich nehme an, dass der Vize nach den sechs Monaten deine Nachfolge antreten will“, sagte Sam.
„Ich bin mir da ziemlich sicher“,
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