Was Pflanzen wissen
noch mehr Ethylen abgeben, was zu einer regelrechten durch Ethylen bedingten Reifungskaskade führt, etwa bei McIntosh-Äpfeln. Aus einem ökologischen Blickwinkel hat das den Vorteil, dass die Samenverbreitung sichergestellt wird. Tiere fühlen sich zu Früchten hingezogen, die durch Reife zum Genuss einladen wie Pfirsiche und Beeren. Durch Wellen von Ethylensignalen wird ihnen ein reichhaltiges Angebot an weichen Früchten signalisiert – wofür sie dann im Verlauf ihres täglichen Lebens die Samen verbreiten.
Nahrungssuche
Cuscuta pentagona ist keine normale Pflanze. Sie ist eine dünne, orangefarbene Kletterpflanze, die bis zu einem knappen Meter hoch werden kann, winzige weiße Blüten mit fünf Blütenblättern hervorbringt und in ganz Nordamerika zu finden ist. Das Einzigartige an Cuscuta ist, dass sie keine Blätter hat und nicht grün ist, weil ihr das Chlorophyll fehlt. Das ist der Farbstoff, der für die Photosynthese notwendig ist, also die Aufnahme von Sonnenenergie, mit der die Pflanzen Kohlendioxid und Wasser in Zucker und Sauerstoff verwandeln. Im Gegensatz zu den meisten Pflanzen kann Cuscuta offenkundig keine Photosynthese vollziehen, sich also nicht mithilfe von Licht ernähren. Dennoch gedeiht sie prächtig. Cuscuta lebt auf ganz andere Weise: Sie holt sich ihre Nahrung von den Nachbarn. Sie ist ein Parasit. Um leben zu können, heftet sich Cuscuta an eine Wirtspflanze und saugt ihr die Nährstoffe aus, die sie ihr bietet. Dazu bohrt sie ein Saugorgan in das Gefäßsystem der Pflanze. Es überrascht daher nicht, dass Cuscuta , die unter dem Gattungsnamen Seide oder auch Teufelszwirn bekannt ist, in der Landwirtschaft als Plage gilt und vom US-Landwirtschaftsministerium sogar als schädliche Pflanze klassifiziert wurde. Geradezu faszinierend ist an Cuscuta jedoch, dass sie kulinarische Präferenzen hat: Sie wählt sorgfältig aus, welche Nachbarn sie attackiert.
(5) Cuscuta pentagona.
Ehe wir erläutern, aus welchen Gründen Cuscuta so spezifische und ausgeklügelte Geschmacksvorlieben hat, wollen wir uns anschauen, wie sie ihr Parasitenleben beginnt. Cuscuta -Samen keimen wie jeder andere Pflanzensamen auch. Wenn sie auf der Erde liegen, brechen die Samenkapseln auf, der neue Keimling wächst nach oben, und die neue Wurzel gräbt sich in den Boden. Aber ein kleiner Teufelszwirn, der allein dasteht, stirbt, wenn er nicht schnell einen Wirt findet, von dem er leben kann. Wenn ein Teufelszwirn-Keimling wächst, bewegt er gleichzeitig seine Spitze in kleinen Kreisen und streckt sie tastend in die Umgebung – ähnlich wie wir es mit den Händen tun, wenn unsere Augen verbunden sind oder wir mitten in der Nacht den Lichtschalter in der Küche suchen. Diese Bewegungen wirken zunächst ziellos, aber wenn der Teufelszwirn in der Nähe einer anderen Pflanze ist (sagen wir, einer Tomate), dann biegt und dreht sich die Cuscuta bald in die Richtung der Nahrung verheißenden Tomatenpflanze und wächst schließlich auch dorthin. Das geht so lange, bis ein Tomatenblatt gefunden ist. Aber statt das Blatt zu berühren, lässt sich derKeimling zur Erde sinken und bewegt sich weiter, bis er den Stängel der Tomatenpflanze gefunden hat. Dann hat er sein Ziel erreicht, wickelt sich um den Stängel und schiebt winzige Saugorgane namens Haustorien in den Siebteil des Leitbündels der Tomate (das sind die Gefäße, die die zuckerhaltigen Säfte der Pflanze transportieren). Nun beginnt Cuscuta , Zucker herauszusaugen, damit sie weiterwachsen und später auch blühen kann. Und je mehr der Teufelszwirn gedeiht, umso stärker beginnt die Tomatenpflanze zu welken.
Dr. Consuelo De Moraes hat dieses Verhalten in einem Film dokumentiert. *4 Sie ist Insektenkundlerin an der Penn State University, und ihr Hauptinteresse ist, Signale in Form flüchtiger chemischer Substanzen zwischen Insekten und Pflanzen und auch zwischen den Pflanzen selbst zu verstehen. In einem ihrer Projekte wollte sie herausfinden, wie Cuscuta ihre Opfer lokalisiert. 21 Sie konnte zeigen, dass Teufelszwirn nie auf leere oder mit künstlichen Pflanzen bestückte Töpfe zuwächst, sondern verlässlich auf Tomatenpflanzen zukriecht, ganz gleich, wo sie diese hinstellte – ans Licht, in den Schatten, wo auch immer. De Moraes kam zu dem Schluss, dass Teufelszwirn die Tomate ganz einfach roch . Um diese These zu prüfen, stellten sie und ihre Studenten den Teufelszwirn in einem Topf in einen geschlossenen Behälter und die Tomate in einen zweiten
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