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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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dazu mit einer weißen Fahne wedeln.«
    »Passt gut. Ich habe in letzter Zeit viel Yoga gemacht. Jetzt kann ich mein Bein so abknicken, dass es wie ein Stumpf aussieht.«
    Ich steige aus dem Wagen und will ihm demonstrieren, wie gut ich als lebendes Anti-Kriegs-Mahnmal ausschaue. Lukas lächelt nicht, sondern bleibt im Auto sitzen. Er ist im Sitz in sich zusammengekrochen. Selbst seine sonst so verstrubbelten Haare hängen, als ob sie kapitulieren.
    »Oder Flucht nach vorn. Irgendwas mit einem Hakenkreuz drauf?«
    Sag noch mal einer, wir Deutschen hätten keinen Humor.
    »Hat Prinz Harry schon gemacht.«
    Lukas stöhnt auf und öffnet die Fahrertür.
    »Dann lieber gleich im gestreiften Pyjama, als KZ -Häftling.«
    »Klar. Scherz muss sein.«
    Die Schritte bis zur Haustür laufen wir wie zwei geprügelte Hunde. Wo sind wir bloß gelandet, und warum? Ich muss das Ruder rumreißen. Phönix aus der Asche, auferstanden aus Ruinen – das haben wir doch drauf. Historisch zumindest.
    »Sprich es einfach an. Bei eurer nächsten Urologensitzung zum Beispiel.«
    »Hmmm.« Phönix ist noch nicht aufgestiegen. »Vielleicht.«
    Phönix hat es aber auch schwer. Unangenehmes offen anzusprechen ist in Neuseeland so verpönt wie Nacktbaden. Kritik läuft so ab: Pausenlos loben, bedanken, Nettigkeiten verteilen – und zwischen all den Schichten von Watte ganz, ganz vorsichtig den Missmut verpacken. Das Negative ist so gut versteckt, dass ein Neuankömmling wie Lukas es erst mal nicht kapiert. Bis er die Feinheiten endlich erkannt und seine Antennen auf Kiwi-Funk ausgerichtet hat, ist es längst zu spät. In der Zwischenzeit hat er mit seinem direkten Auftreten alle vor den Kopf gestoßen und dabei kein Fettnäpfchen ausgelassen. Aber das wiederum sagt ihm natürlich keiner. Denn das wäre ja, genau: zu direkt.
    Ich bezahle die Babysitterin und laufe mit leisen Schritten durchs Haus, um die Jungen nicht zu wecken. Auf dem Küchentisch liegt der fotokopierte Zettel, mit dem Otto jede Woche sein Mittagessen in der Schule bestellt. ›Squizeed Orange Juice, $ 1.50‹ steht unter ›Muffins‹ und ›Käse-Toast‹. Gepresster Orangensaft zum Ankreuzen, leider falsch geschrieben. Er stößt mir Woche für Woche von Neuem auf.
    Ich folge Lukas ins Bad.
    »Wollen wir uns auf eurer Party nicht auch ein bisschen amüsieren?«
    Er quetscht sich Zahnpasta auf die Zahnbürste. Auch quetschen heißt ›squeeze‹, nicht ›squizee‹. So schlecht ist mein Englisch wirklich nicht.
    »Reicht schon, wenn niemand den Arm hochreißt, oder?«
    Er spült um und spuckt ins Becken. Lukas’ Zahnpflege in allen Ehren – aber er ist dabei, seinen Biss zu verlieren. Auswandern macht bescheiden. Und unsicher. Und irgendwann ungerecht.

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    Junge, komm bald wieder
    WENN MIR JEMAND an meinem 30. Geburtstag prophezeit hätte, dass ich zehn Jahre später verheiratet mit Kindern am anderen Ende der Welt lebe, hätte ich ihm die Tarotkarten lachend vom Tisch gefegt. So viel Fantasie besitze ich als Journalistin nicht. Allerdings hätte ich auch nie geglaubt, dass ich mal in einen Handschuh pinkeln würde.
    Ich habe an der Seite eines Urologen schon einiges mitgemacht. Als ich Lukas Körner kennenlernte, hatte ich ein paar Jahre beim Fernsehen auf dem Buckel und versuchte, Karriere zu machen. Er war Assistenzarzt in Kiel und hatte andere Pläne. Sechs Wochen ließ er sich für ›Ärzte für die Dritte Welt‹ freistellen. Er fuhr im Jeep durch entlegene Dörfer auf den Philippinen, in die nur alle paar Monate ein medizinisches Hilfsteam kommt, und lernte, im Schein der Taschenlampe zu operieren und improvisieren. Irgendwann reisten wir gemeinsam auf die Mentawai-Inseln vor Sumatra. Ich schrieb eine Reportage über eine Hilfsorganisation, für die sich Lukas engagieren wollte. Ein Surfer aus Neuseeland hatte sie gegründet. Am letzten Tag der Tour war unser Nachtquartier das Haus des Dorfvorstands.
    »Your wife?«, fragte der alte Mann mit skeptischem Blick auf mich und zupfte an seinem Bart. Viel machte ich wohl nicht her mit meinen strähnigen Haaren, die seit Tagen keine Dusche mehr gesehen hatten.
    »Meine Frau«, nickte Lukas gnädig, und ich durfte mit ins Gästezimmer. Das war das frei geräumte Schlafzimmer im ersten Stock. Das Haus war aus Brettern und geflochtenen Wänden gebaut und damit im Vergleich zum Rest der Hütten ringsherum ein Palast. Die gesamte Großfamilie schlief dem Doktor zu Ehren unten im Erdgeschoss auf

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