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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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dem Boden. Dort war kein Zentimeter mehr Platz. Oben war es heiß und stickig. Ich trank in einem Zug eine ganze Wasserflasche leer.
    Als ich in den frühen Morgenstunden unterm gemeinsamen Moskitonetz aufwachte, platzte mir fast die Blase. Es gab keine Toilette. Es gab keinen Weg nach draußen, der nicht über sämtliche Schlafenden führte und sie aufgeweckt hätte. Lukas zeigte auf das offene Fenster, dessen Bambussims sehr niedrig war. Darunter sah man ein Kürbisbeet.
    »Geh einfach in die Hocke. Ich schaue auch weg.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Niemals. Gibt es keinen Eimer oder irgendwas?«
    Er schüttelte den Kopf. Ich stöhnte. Dieser Druck! Lukas kramte in seiner Arzttasche und zog einen weißen OP -Handschuh hervor.
    »Komm, keine Scheu, min Deern. Windeln habe ich nicht dabei.«
    Und ich tat es. In meiner Not hielt ich mir den aufgeklemmten Latexhandschuh in den Schritt und ließ es hineinplätschern. Es hörte gar nicht mehr auf. Was für eine unglaubliche Erleichterung.
    »Das ist ja fast ein Liter«, stellte Lukas fachmännisch fest. Die monströse Urinprobe spreizte wie eine Geisterhand alle Finger ab. Ich knotete sie zu und steckte sie in meine Umhängetasche neben Insektenspray und Notizblock, um sie später diskret zu entsorgen.
    Nach unserer Rückkehr schenkte mir Lukas eine kleine Spitztüte aus beschichteter Pappe. ›Urinella‹ stand auf der Verpackung. Er hatte das Ding von einem Kongress. Hatte nicht Susan Stahnke mal für dieses Hilfsmittel geworben? »Damit können Frauen im Stehen pinkeln«, sagte Lukas, »auch aus dem Fenster.« Mein Einzug in die Urologenwelt war endgültig besiegelt. Was für andere ein Diamantring zur Verlobung ist, das war für mich eine Urinella.
    Als ich das erste Mal im Land der langen weißen Wolke ankam, war ich hochschwanger mit unserem zweiten Sohn und entsprechend hormonell weichgespült. Ich wusste gar nicht, worüber ich mich am meisten freuen sollte. Besonders angetan war ich vom ersten Maori meines Lebens. Das war der korpulente Zollbeamte am Flughafen von Auckland. Er reichte mir meine Papiere mit dem Satz zurück: »Have a great time in New Zealand!« Sein Land sprach er »Nihsillin« aus, was es irgendwie noch netter machte. An keiner Passkontrolle der Welt wurde mir je ein freundlicheres Lächeln geschenkt, schon gar nicht von einem Ureinwohner persönlich. Der Gang zum Gepäckband führte unter einem Holzbogen durch, der mit Maori-Schnitzereien und Muschelstücken verziert war. Ich meinte, in der Ferne einen Wasserfall rauschen zu hören. Vielleicht kam der Sound vom Band. Ein Volk, das seine Grenzen mit so viel Herzlichkeit und Ästhetik bewacht, kann einem kaum Böses wollen, dachte ich. Hier wollten wir gerne drei Monate verbringen, inklusive Geburt.
    Lukas ging vor Ottos Ankunft im Ozean vor Kaikoura mit den Delfinen schwimmen. Als Neuankömmling und Tourist brauchte er heilenden Tierkontakt. Grasen mit Schafen hat sich als Attraktion noch nicht so durchgesetzt, aber hätte bei deutlich angenehmeren Temperaturen und weniger Kosten vielleicht den gleichen Effekt erzielt. Ich passte im neunten Monat in keinen Neoprenanzug mehr, und ›Gebären mit Delfinen‹ stand nicht auf dem Programm. Damit die Haie mich nicht mit einer Robbe verwechselten, blieb ich mit Jakob an Land.
    »War’s toll?«, fragten wir Lukas hinterher. Natürlich waren wir neidisch. Mit Delfinfotos kleistert jeder ernst zu nehmende Backpacker heutzutage seine Facebook-Seite zu.
    Er hatte blau gefrorene Lippen, aber die Augen strahlten.
    »Allen war übel. Der Japaner an Bord hat dreimal gekotzt.«
    »Und die Delfine? Konntest du sie anfassen?«
    Der Rest fällt unter die ärztliche Schweigepflicht. Nur so viel: Auch bei Lukas machten sich hormonelle Umstellungen bemerkbar.
    Unser jüngster Sohn hat das Ganze überlebt und wurde ohne sichtbare Schäden in Christchurch geboren. Das ist das Zentrum der Südinsel Neuseelands, das wiederum aus zwei großen Inseln besteht. Wellington ist die Hauptstadt, Auckland hoch im Norden aber Metropole – so ähnlich wie New York und Washington. Fast. Im Gegensatz zu Washington und New York weiß kaum jemand nördlich des Äquators, wo Wellington und Auckland überhaupt liegen. Geschweige denn Christchurch.
    Es gab dort zwar keine anständige Lakritze, aber Lachgas, einen funktionierenden Tropf, sterile Laken und erfahrene Hebammen. Es sah schön aus und fühlte sich gut an, dieses Land. Genau die richtige Dosis an Zivilisation, dazu wilde

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