Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Strände, einsame Natur, mildes Klima. Wir waren angefixt. Könnte man dort auch leben, zumindest für eine Weile? Wie würde das gehen? Mit oder ohne festen Job? Immerhin hatten wir einen gebürtigen Kiwi im Gepäck. Als wir wieder zu Hause waren und die Auszeit mit Baby lange vorbei, wurde in Christchurch eine Urologenstelle ausgeschrieben. Lukas bewarb sich. Er wurde genommen. Wir wanderten aus. Das ist natürlich die absolute Untertreibung. Zwischen ›bewarb sich‹ und ›wanderten aus‹ lag ein Entscheidungsdrama, das sich über Monate hinzog.
Für immer im Ausland leben – das klang für uns erst mal gut. Da schwang Verheißung mit. Die Hoffnung auf neue Impulse, mehr Toleranz und Großzügigkeit. All die Mankos von Deutschland wettmachen. Aber damit setzt man das arme Ausland ganz schön unter Druck. Was, wenn sich am Ende doch nur die Kulisse ändert, an der entlang man morgens zur Arbeit fährt? Wenn das Neue stinknormal wird und das Alte plötzlich fehlt?
Ein typischer Morgen in der heißen Phase begann so:
»Na, was sagt dein Bauch?«, fragte Lukas.
»Weiß nicht. Lass uns mal lieber hierbleiben.«
»Aber wir werden es ewig bereuen, wenn wir’s nicht tun. Man lebt nur einmal.«
»Wir haben’s doch echt gut hier. Und mehr Natur gibt’s auch am Bodensee.«
Am nächsten Morgen dann:
»Bist du heute schlauer?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Kann mir das alles nicht vorstellen. Ist schließlich eine Entscheidung fürs Leben.«
»Komm, es wird schon gut gehen. Was Neues ist immer gut.«
»Hmm.«
Am dritten Tag:
»Überleg mal, all der Aufwand – was tun wir bloß uns und den Jungs damit an?« (Egal, wer das fragte.)
»Sieh es positiv. Die Kinder wachsen zweisprachig auf.«
»Aber ohne Großeltern.«
So ging das hin und her, mit vertauschten Rollen. Ich hätte am liebsten ein Orakel befragt, das für mich in die Zukunft guckt. In unserer Not machten wir schließlich einen Termin beim Astrologen. Die Not muss groß gewesen sein, denn wir kennen nicht mal verlässlich das Sternzeichen unserer Söhne, geschweige dass einer von uns Horoskope liest. »Wer hilft, hat recht«, dachte ich – alte Ärzteweisheit, immer wieder bestätigt. Einmal in die Sterne gucken kostete ja auch nur schlappe hundertzwanzig Euro. Ein Klacks, wenn man dafür mit klaren Antworten auf den weiteren Lebensweg geschickt wird. Als wir nach anderthalb Stunden Beratung die vertrauensbildend in Pastell und Kiefer gehaltene Wohnung des Astrologen verließen, brummte mir der Schädel von Aszendenten in Venusnähe und Sonnen im fünften Haus. Jetzt ging es darum, die Fülle an Informationen richtig zu interpretieren.
»Also, wenn man an all das glaubt«, sagte Lukas, der natürlich nicht an all das glaubte, »dann ist wohl klar, dass wir lieber nicht wegziehen sollten. Zu großes Risiko.«
»Komisch. Ich habe das jetzt genau andersherum verstanden. Dass nur Herausforderungen und neue Abenteuer dauerhaft Glück bringen. Oder so ähnlich.«
Die hundertzwanzig Euro hatten sich gelohnt. Wir fingen an, Pro- und Kontra-Listen zu erstellen.
Für Team Deutschland sprach:
Kennen wir. Wissen, wie alles funktioniert.
Freunde. Familie.
Arbeit in sicheren Bahnen.
Lakritze.
Fällt man als Deutscher kaum auf.
Dagegen sprach:
Kennen wir. Tapetenwechsel tut gut.
Karriere samt Knick vorhersehbar.
Zu viel Stress.
Zu viele Inländer.
Die Beamtin auf dem Einwohnermeldeamt, die mich anblaffte, weil der Rand des Passbildes einen Millimeter zu breit war.
Die beiden Sandkästen in unserem begrünten Hinterhof. (Der eine war von Familie Herbst-Reifenbach für Anna-Karenina aufgestellt worden. Weil aber Sebastian Schrumpf aus dem dritten Stock manchmal beim Spielen die mit ›A.-K. H.-R.‹ beschriftete Plastikschaufel von Anna-Karenina benutzte, diese eines Tages verschwunden war und Frau Herbst-Reifenbach sich darüber bei Sebastians Mutter beschwerte, wurde von Familie Schrumpf ein zweiter Sandkasten aufgestellt. Die Förmchen und Schaufeln darin waren mit ›S. S.‹ beschriftet. Alles hatte fortan seine Ordnung. In jedem Sandkasten saß ein Kind. Allein.)
Für Neuseeland sprach eigentlich eine ganze Menge. Hier eine willkürliche Auswahl:
Nur fünf Prozent der Bewohner Aotearoas sind Menschen, und davon nur 0,25 Prozent Deutsche.
Vor den Nachrichten sendet Radio New Zealand eine halbe Minute lang den Bird Call. (Als der Nationalsender ankündigte, diese Einspielungen einheimischen Vogelgezwitschers abzuschaffen, kam es fast
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