Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Reptilienarten bestimmen einen Langstreckenflug mit siebzig Kilo Gepäck und zwei unausgeschlafenen Kindern vor sich hat, dann ist es die Hölle. Die Vorhölle ist das Beladen des Containers. Wir mussten eine Liste anlegen, auf der jedes einzelne Stück Hausrat einzeln aufgeführt ist. Ja, richtig: Jedes. Einzelne. Stück. Bei Legosteinen und Besteck gelten großzügigerweise Sammelbegriffe.
Unser Überseecontainer war lange auf den Weltmeeren unterwegs. Manchmal gibt es Momente, in denen ich mir heimlich wünsche, er wäre irgendwo zwischen Cape Horn und dem Bermudadreieck von Bord gefallen und würde uns so von all dem Ballast befreien.
Gerade jetzt ist wieder so ein Moment. Ich stehe im Büro von MAF, der gefürchteten Landwirtschafts- und Lebensmittelbehörde, und lege die Liste über unser gesamtes Hab und Gut vor. Die Seefracht ist endlich im Hafen angekommen und muss ausgelöst werden. Doch bevor die Ladung den Zoll passieren darf, wird sie von der MAF gefilzt. Das ist ungefähr so angenehm wie früher, wenn man die MAF -Grenze passierte, um nach Westberlin zu fahren: Was werden sie finden? Wie können sie einem das Leben schwermachen? Wo sind die Selbstschussanlangen angebracht?
Nichts fürchtet der neuseeländische Staat so sehr wie eingeschmuggelte Insekten und fremde Bakterien, die das heimische Ökosystem unterwandern. Denn dem könnte der Kollaps durch importierte Tiere und Pflanzen drohen. Die biologische Invasion wird bekämpft wie nichts. Infiltration durch Al Qaida? Pustekuchen. Radioaktives Material? Pah. Kiloweise Heroin? Schulterzucken. Maschinenpistole im Handgepäck? Abnicken, durchwinken. Aber wehe, wehe, bei der Ankunft am Flughafen gammelt noch ein Apfel in der Tasche und unter den Fingernägeln steckt Dreck, dessen Herkunft nicht eindeutig zuzuordnen ist: Schon drohen drakonische Strafen. Auch unser verpackter Haushalt könnte eine schwere Bedrohung für Flora und Fauna darstellen. Vorsicht ist also angebracht.
»Diese Holzmaske hier«, der MAF -Beamte tippt auf meine Liste, »stammt die aus Afrika?«
Au weia. Ich habe sie aus Burundi. Das ist streng genommen …
»Aus Italien«, lüge ich. »Äh, Venedig.« Karnevalistisch, kannibalistisch – auch egal. Hier geht es um unsere Zukunft.
»Ist sie lackiert?«
»Ja. Zweifarbig.« Sie ist unbehandelt und wurmstichig. Garantiert beherbergt sie einen Wüstenfloh. Dieser Ethnoschrott wird mich den Kopf kosten. Doch der freundliche Beamte setzt einen Haken hinter ›Maske‹. Misstrauen ist bei aller Biohysterie kein typisch neuseeländischer Charakterzug. Ein nachträglicher Pluspunkt für die Pro-und-Contra-Liste.
»Dieser Alligator« – er studiert meine zoologischen Bescheinigungen – »den müssen wir uns angucken kommen, bevor der Container ausgeräumt wird.«
»Ah-hmm.«
»Wir schicken einen Inspektor vorbei.«
Der Inspektor kommt in einer Stunde nach Lyttelton. Lyttelton ist das Hafenviertel von Christchurch und mit Abstand der netteste Ort, den ich kenne – unser Wohnort. Ich bin in kürzester Zeit leidenschaftliche Lokalpatriotin geworden.
Auf dem Weg zum Hafen halte ich am Café an. Vor dem Supermarkt steht ein Grüppchen russischer Seeleute: Bürstenschnitt, teigiger Teint, graue Kunstlederjacken, Plastiktüten mit Wodkaflaschen. Die Männer stecken die Köpfe zusammen und zählen ihre Dollars. In der Drogerie nebenan sind Zettel an die Wand gepinnt. Darauf stehen die kyrillischen Übersetzungen für so Wesentliches wie Riechsalz, Aspirin und ›Ich habe Schmerzen‹. Nur Syphilis fehlt. Vor Jahren hingen die Besatzungen fünf russischer Fangschiffe über Monate ohne Lohn in Lyttelton fest, weil die Reederei pleite ging. Für die 102 Männer bahnte sich ein humanitäres Desaster an. Als die Matrosen nichts mehr zu essen hatten, versorgten die Anwohner, Kirchen und die Heilsarmee sie. Eine Gewerkschafterin boxte ehrenamtlich ein Gerichtsverfahren für die verbliebenen unbezahlten Russen durch und heiratete später einen von ihnen. So läuft das in Neusozialland.
Lyttelton liegt an einem erloschenen Vulkankrater. Weil das Örtchen von der Stadt durch einen langen Tunnel getrennt ist, hat ein Dichter es als ›Narnia an der Rückseite von Christchurchs Kleiderschrank‹ beschrieben: spiegelglattes, changierendes Wasser, rostige Kräne, spitze Giebel in mintgrün und rosa und dahinter aufragend die karstigen Felsen des Kraterrandes. Die Werft gibt dem verblichenen Charme der Kolonialstilhäuser Bodenhaftung. Unter den
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