Was sich liebt das raecht sich - Roman
Ende hatte Candi nicht mal mehr gewusst, welcher Wochentag gewesen war. Der Gedanke jagte ihrer Tochter einen Heidenschrecken ein, weil es so, wie sie lebte, schließlich durchaus möglich war.
Was hatte ihre Mutter je erreicht?, fragte sich Savannah kritisch. Sie war zeit ihres Lebens irgendwelchen Träumen hinterhergejagt, immer als »aufstrebende« Sängerin und Tänzerin, jedoch nie mit wirklichem Erfolg. Enttäuschung, Einsamkeit und Armut hatten sie dazu gebracht, Trost im Alkohol zu suchen, während sie in irgendwelchen schmuddeligen Stripclubs vor den Augen perverser Loser aus ihrem Kostüm gestiegen war. Nicht, dass Savannah derart tief gesunken wäre … aber vielleicht käme es ja noch dazu.
Sie zog ein zerrissenes Foto aus der Schachtel und presste die Lippen aufeinander, als sie den rothaarigen Mann mit den kalten blauen Augen darauf entdeckte, der ihr vorher schon auf irgendwelchen Aufnahmen begegnet war. Sie wusste, dass er ihr Vater war. Offensichtlich hatte ihre Mutter ein paar Bilder von dem Typen bis zum Schluss behalten, sie sich voller Sehnsucht angesehen, wenn sie betrunken heimgekommen war, und sich gefragt, wie es geworden wäre, hätte er sie nicht verlassen, oder sich beim Anblick des Verflossenen irgendwelchen anderen romantischen Blödsinn ausgedacht.
Mein geliebter Dad , dachte Savannah voller Zorn. Was für ein nutzloser Arsch! Sie war ihm nie begegnet, hatte keine Ahnung, wie er hieß, und hatte bisher auch nie den Wunsch verspürt, den Mann zu kontaktieren, der ihre Mum verlassen hatte, kaum dass sie von ihm schwanger gewesen war. Während sie das Foto schon in Stücke reißen und mit all dem anderen Kram in den Papierkorb werfen wollte, fielen ihr plötzlich Rheas Worte wieder ein. »Du solltest deinen Vater finden«, hatte sie gesagt. »Er schuldet dir etwas.«
Ob er ihr tatsächlich etwas schuldig war?
Ja, wahrscheinlich war er das, vor allem nach alledem, was ihre Mum geopfert hatte, um sie großzuziehen. Er hatte in den letzten einundzwanzig Jahren nichts mit ihr
zu tun gehabt, und sie hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, tauchte sie mit einem Mal in seinem Leben auf. Würde er sich weigern, sie zu sehen? Vielleicht sogar leugnen, dass sie seine Tochter war? Savannah hatte keine Ahnung, was er täte. Und es hatte sie bisher nicht im Geringsten interessiert.
Als sie wieder nach dem Foto griff, entdeckte sie, dass auf der Rückseite etwas geschrieben stand. J. Harrington, Bucks. Sie hielt den Atem an. Ob das sein Name war? Aber war der Kerl ein Jack oder ein John? Und was in aller Welt war Bucks? Savannah hatte nie etwas von ihrem Dad gehört, nur ab und zu die Fotos von dem Mann gesehen. Doch auch wenn sie sich bemüht hatte, sein straffes Kinn und seine arroganten Züge sofort wieder zu vergessen, hatte sich sein Aussehen gegen ihren Willen für alle Zeit in ihr Gedächtnis eingebrannt. Und die roten Haare konnte sie unmöglich ignorieren, sagte sie sich, während sie nach einer ihrer eigenen roten Strähnen griff.
Jetzt allerdings, da sie plötzlich seinen Namen kannte, war Savannah fasziniert. Nachdenklich schlang sie sich die pinkfarbene Federboa ihrer Mutter um den Hals und sog den seltsam tröstlichen Geruch ihres billigen Parfüms tief in ihre Lungen ein. Dann fasste sie einen plötzlichen Entschluss. Sie lebte ganz allein nur mit Ungeziefer als Gesellschaft hier in diesem Loch, und die wenigen Freundinnen und Freunde, die sie hatte, saßen im selben Boot wie sie – hielten sich mit Jobs in irgendwelchen Kneipen über Wasser und sangen oder tanzten ein ums andere Mal vergeblich an Theatern vor.
Savannah wurde klar, dass sie nichts zu verlieren hatte – nun, da ihre Mum nicht mehr am Leben war. Hastig wischte sie die Träne fort, die ihr mit einem Mal über die Wange rann, und packte die flauschige Federboa wieder ein.
Sie schnappte sich ein Buch, erschlug damit die nächste Kakerlake, die ihr in die Quere kam, rollte sich auf ihrem Bett zusammen und dachte darüber nach, was sie zu ihrem Taugenichts von Vater sagen würde, wenn sie ihm erst einmal gegenüberstand. Was er wohl machte, überlegte sie? Bei ihrem Glück war er bestimmt ein arbeitsloser Gauner, aber vielleicht hätte er ja trotzdem etwas Geld für sie… oder vielleicht lebte er ja auch in einem etwas besseren Teil der Stadt und hätte Platz für sie. Eventuell war Bucks ja gar nicht in New York. Es klang irgendwie britisch, doch sie täuschte sich womöglich.
So oder so war dieser Mann ihr
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